Die neue Bienenfabel

Rezension zu Sarah Wiener (bearbeitet von Manuela Runge), Bienenleben: Vom Glück, Teil der Natur zu sein, Berlin 2015 (Aufbau-Verlag).

von Ronald Haffner

1. Die Autorin

Sarah Wiener (geb. 1962) ist die Tochter von Oswald Wiener, einem österreichischen Schriftsteller, Sprachtheoretiker und Gastronom der durch die sogenannte „Uni-Ferkelei“ am 7. 6. 1968 (in der Universität Wien durchgeführte Aktion „Kunst und Revolution“, bei der unter Absingen der österreichischen Nationalhymne masturbiert, die Notdurft verrichtet und erbrochen wurde) berühmt wurde sowie der deutschen bildenden Künstlerin Lore Heuermann. Der Vater floh vor der österreichischen Strafverfolgung nach Berlin und lebte dort als Gastronom. Sarah Wiener wuchs bei ihrer Mutter in Wien auf, da die Eltern getrennt lebten. Im Alter von 17 Jahren verließ sie das Mädcheninternat und trampte durch Europa, wo sie sich mit Gelegenheitsjobs durchschlug. Im Alter von 24 Jahren zog  sie mit ihrem Sohn nach Berlin, wo sie zunächst von Sozialhilfe lebte, später kellnerte sie und arbeitete in der Küche der Gastwirtschaft ihres Vaters. 1990 gründete sie mit einem ausrangierten LKW-W50 der NVA der DDR ein Catering-Unternehmen, wo sie für Filmcrews kochte. 1999 folgte das erste eigene Restaurant in Berlin. Es folgten Gastwirtschaften im Museum Hamburger Bahnhof, das Bistro in der Akademie der Künste, im Museum für Kommunikation und im Mercedes-Benz-Museum im Stuttgart. Letzterer Vertrag wurde 2014 wegen Verstößen gegen Sozialstandards von der Daimler AG gekündigt.  Die Sarah Wiener GmbH soll in Hamburg und Berlin bis zu 200 Mitarbeiter haben. Parallel zu ihren Gastwirtschaften trat Wiener regelmäßig in zahlreichen verschiedenen Fernsehsendungen, zum Teil mit eigenen Kochshows auf. Bei der Wahl zum EU-Parlament 2019 wurde sie auf dem 2. Listenplatz der österreichischen Grünen erfolgreich ins EU-Parlament gewählt. Sarah Wiener hat weder einen Schulabschluss noch eine Berufsausbildung.

Vor dem Impressum wird im Buch ergänzend mitgeteilt: „Bearbeitet von Manuela Runge“.

Manuela Runge ist eine deutsche Schriftstellerin und studierte Germanistin (Humboldt-Universität zu Berlin), die sich 2000 als freie Autorin, Lektorin und Ghostwriterin selbständig machte. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die hohe Qualität des Textes wesentlich durch Manuela Runge geprägt wurde.

2. Der Inhalt

Das Buch gliedert sich in 25 Kapitel, die auch jeweils für sich gelesen werden können. Darin wird zunächst erzählt, wie die Autorin, die als Kind aufgrund eines schrecklichen Erlebnisses (Bienenstich) panische  Angst vor Bienen hatte, zu ihrer Leidenschaft und Hobby, dem Imkern, gekommen ist und wie sie es immer noch betreibt. Es begann mit einer Fernsehsendung bei einem Imker, der Sarah Wiener sehr beeindruckte. Sie ließ den Kontakt nicht abreisen, besuchte mehrere Kurse, verschlang unzählige Bücher, bis sie schließlich den Schritt wagte, und sich eigene Bienenvölker in ihrem Gutshaus in der Uckermark zulegte. Der Leser erfährt alles Wichtige über das Leben, Lieben, Arbeiten, die Aufzucht und das Sterben der Bienen sowie über die Vor- und Nachteile verschiedener Bienenstöcke, -arten und Honigsorten. Nichts bleibt unbesprochen.

Man erfährt, das ein Bienenstock eigentlich „Beute“ heißt (ein Schelm, wer Böses dabei denkt), Wiener ihren Bienenvölkern sogar Namen gegebene hat (Oglala ist ihr Lieblingsvolk) und Wiener meist ohne Schutzkleidung bei ihren Bienen arbeitet, da sie besonders sanftmütige Bienen hat, bzw. besonders schonend mit ihnen umgeht. Man glaubt es ihr. Und ja, auch ich habe mich ein bisschen von der Leidenschaft anstecken lassen, als ich mich beim Nachdenken darüber ertappte, wo ich denn eine „Beute“ für mein erstes Bienenvolk aufstellen könnte.

Schwierig wird es nur, wenn die Bienen im Wald Pollen, Nektar und Honigtau sammeln. Bienen haben nämlich mit dem eigenen produzierten Waldhonig ein Problem. „Waldhonig ist sehr mineralisch. … Wenn eine Biene nur Waldhonig in ihrer „Beute“ (s.o.) hat und damit überwintern muss, dann bekommt sie Schwierigkeiten mit der Verdauung und Durchfall.“ Ganz ehrlich, das war mir neu.

3. Bewertung

Das Buch ist ein wirklich schön zu lesender Strauß von Gedanken über ein Stück Natur, die, da hat Wiener recht, uns meist verborgen bleibt. Es ist auch flüssig lesbar und charmant geschrieben, was aber vermutlich überwiegend der Ghostwriterin zu danken ist. Man verspürt wirklich Lust, das Buch nicht wegzulegen, sondern zu Ende zu lesen. Alles in allem also Kauf- und Leseempfehlung?

Wenn, ja wenn, da nicht der ständig moralisch belehrende Unterton wäre. „Zunahme der Wetterextreme“, vom „Menschen verursachter Klimawandel“, die Menschen „führen einen Krieg gegen die Natur“, „Honig ist ein großes globales Geschäft geworden.“ Wiener begnügt sich nämlich nicht mit der Schönheit der Natur, oder, um mit ihren Worten zu sprechen, mit dem „Glück, Teil der Natur zu sein“, sondern sie stellt zu Beginn des Buches die Frage: „Was also können wir von den Bienen lernen?“ oder genauer: „Können Bienen ein Vorbild für uns, für unsere Art des Zusammenlebens und sogar der Kommunikation sein?“

Im Weiteren führt Wiener aus: „Die Biene macht vor, wonach wir uns sehnen. Im Laufe der Evolution hat sie sich von einem kleinen Raubtier zu einem partnerschaftlichen, fürsorglichen Insekt entwickelt, das eine symbiotische Beziehung zu Pflanzen und Blüten eingeht, ohne sie zu zerstören. Auch mit ihren Schwestern und Brüdern geht sie (Anm.: die Biene) eine friedvolle und lustvolle Arbeitsteilung ein, die dem gesamten Volk dient und damit ihr selbst – von der Königin bis zur popeligsten Jungmade.“

Friedvolle und lustvolle Arbeitsteilung? Nun denn, das liest sich später im Buch aber ganz anders. Es läuft nämlich ungefähr so ab: Nur ca. ein Drohn von Tausend Drohnen darf die Königin begatten, was im Flug geschieht und ca. 1-2 Sekunden dauert. „Der Drohn stirbt sofort, da die Königin das Sperma mit einem derartigen Unterdruck in ihren Leib saugt, das der Penis in ihr stecken bleibt. Währenddessen tritt beim Drohn eine Lähmung ein, er dreht sich rückwärts und stürzt ab.“ Die Königin paart sich mehrmals. „Nach der ersten Paarung entfernt der nachfolgende Drohn zuerst den Penis, um sie erneut zu begatten.“ Findet die Königin danach zurück in ihren Stock, legt sie 3-6 Jahre lang 1-2 Eier pro Minute (!). Sonst tut sie nichts. Sie wird von ihrem Hofstaat geputzt, verpflegt und gewärmt. Wenn die Königin stirbt, stirbt mit ihr das Volk.

Die übrigen Drohnen, also die ca. Neunhundertneunundneunzig, werden im Sommer zwar beköstigt, im Herbst aber aus dem Stock geworfen oder getötet. Die Arbeitsbiene dagegen hat einen vorbestimmten Lebenslauf. Von der Jungputzbiene über Amme, Honigabnehmerin, reguläre Putzbiene, Honigköchin, Baubiene, Sammlerin zur Wächterin. Letztere töten auch Bienen eines anderen Stockes, wenn diese sich verflogen haben.

„Man kann den Bien (Anm. Sahra Wiener nennt das Bienenvolk „der Bien“) … als Staat betrachten, in dem jeder Bürger seine Aufgabe hat.“ Ja, da ist er der Traum aller Könige, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen, aber auch aller Präsidenten, Premierminister, Generalsekretäre, Vorsitzenden, Sultane, Scheichs und Kanzlerinnen oder einfacher gesagt aller Herrscher dieser Erde: Jeder Untertan hat seine klar umrissene Aufgabe, jeder ist ein Rädchen im Getriebe. Und alles zum Wohle des Herrschers. Man lebt gemeinsam und geht, ggf. auch gemeinsam, unter.

Sorry, aber unter friedvoller und lustvoller Arbeitsteilung verstehe ich etwas anderes. Und auch dieses Zitat, „doch im Grunde ist die Königin, …, nur oberste Dienerin ihres Volkes“ könnte durchaus von Kim Jong Un stammen.

Auch ein bisschen Kapitalismuskritik darf nicht fehlen. „Sie arbeiten (Anm. die Bienen) nur so viel, wie das Volk zum Überleben braucht, sorgen quasi für ein ausreichendes Bruttosozialprodukt ohne Profitgier.“ Obwohl die Autorin hier inkonsequent ist. Da auch sie ihren „Beuten“ Honig entnimmt, sozusagen „ausbeutet“, müssen auch ihre Bienenvölker mehr arbeiten, als sie eigentlich möchten. Wer macht jetzt hier Profit? Doch wohl die Autorin selbst.

Übrigens: „…, der sprichwörtliche Bienenfleiß ist ein Mythos, zumindest was das Sammeln betrifft. Honigbienen machen nur drei bis zehn Sammelflüge täglich. … Hummeln zum Beispiel sind deutlich fleißiger im Sammeln von Nektar.“

Noch etwas zum „friedvollen Miteinander“: „Wird … eine Biene krank, verlässt sie entweder von sich aus das Zuhause und stirbt – um eine Ansteckungsgefahr vorzubeugen – draußen den Märtyrertod. Wenn sie allerdings nicht schnell genug ist, oder schon zu schwach ist, wird sie von ihren Schwestern ohne große Umstände zügig rausgeworfen.“ Nicht das ich die Bienen hier kritisieren möchte, aber als „Vorbild für unser Zusammenleben“, wie es sich die Autorin wünscht, kommt das wohl wirklich nicht in Frage.

Lange musste ich aber auf die Frage nach dem häufig in den Medien kursierenden Meldungen zum Bienensterben warten. Ergebnis: Auch das ein Mythos: Die Autorin gibt zu: „In manchen Gegenden hat die Honigbiene … so zugenommen, dass sie als Konkurrentin … eine Gefahr für die Wildbiene ist.“ Bienensterben? Nein! Der Weltuntergang fällt aus.

Was aber nicht heißen soll, dass wir uns nicht wirklich mehr mit den Bienen beschäftigen sollten. Soweit ist Sarah Wiener dann doch zuzustimmen.