von Stefan Blankertz
Seit einiger Zeit kursiert in einschlägigen Kreisen der Social Media ein Zitat von Thomas P.M. Barnett, welches den perfiden Plan der US-Imperialisten belegen soll, das Alte Europa als Konkurrenten um die Weltherrschaft mit der »Migrationswaffe« zu erledigen und eine neue Rasse von willigen Sklaven zu schaffen: »Das Endziel ist die Gleichschaltung aller Länder der Erde, sie soll durch die Vermischung der Rassen herbeigeführt werden, mit dem Ziel einer hellbraunen Rasse in Europa. Hierfür sollen in Europa jährlich 1,5 Millionen Einwanderer aus der dritten Welt aufgenommen werden. Das Ergebnis ist eine Bevölkerung mit einem durchschnittlichen IQ von 90, zu dumm zu Begreifen, aber intelligent genug um zu arbeiten.« Fast alle Versuche, das Zitat zu verifizieren, enden damit, dass der eine Contrarian den anderen zitiert und am Ende dreht es sich alles im Kreise um sich selbst.
Fast alle Versuche. Denn diesen Barnett gibt es wirklich. Er ist wirklich Militärstrategie. Er ist wirklich ein Verfechter der Migration. Und er ist wirklich in verschiedenen Funktionen vorübergehend Berater von Regierungsstellen der USA gewesen. Allerdings zeigt sich nirgends, dass er irgendwo einen überragenden Einfluss hatte oder gar hat. Vor allem ist er Autor von Büchern.
Auf seinem Blog hat Barnett ein Video auf Deutsch, welches das Zitat enthält, selber mit einer Art Augenzwinkern verlinkt: Wenigstens gibt es Leute, die mich für wichtig halten, scheint er bedeuten zu wollen, wenn sie auch etwas zitieren, das ich nie gesagt habe.
Barnett ist politisch-ökonomischer Analyst. Das heißt, nicht alles, was er darstellt, entspricht seinem Wunsch und Willen oder empfiehlt er es als anzustrebendes Ziel. Oder sieht es auch nur als »machbar« an. Es gibt (vorsichtig gesagt) Entwicklungen, die geschehen, ohne dass sie jemand bewusst steuert. Man kann sie beobachten und beschreiben, aber nicht herstellen.
Die Bücher von Barnett sind erhältlich. Das heißt, man kann nachlesen, was er wirklich schreibt. In »The Pentagon’s New Map« (2004) schreibt er, was zumindest die Zahl »1,5 Millionen Einwanderer« als Formel enthält, wenn auch sonst nichts aus dem ihm zugeschriebenen Zitat: »If Europe were to let in 1.5 million immigrants each year, by 2050 a quarter of its population would be foreign-born. That I can imagine happening. As for Japan, as much as one-third of its 2050 population would be foreign-born if they pursued the immigration rate required to stabilize their absolute number of working-age citizens.« (eBook, darum keine Seitenzahl. Dt.: Wenn Europa jedes Jahr 1,5 Millionen Einwanderer einlassen würde, wäre 2050 ein Viertel der Bevölkerung im Ausland geboren. Was Japan betrifft wären 2050 sogar ein Drittel der Bevölkerung im Ausland geboren, wenn die Einwanderungsrate so hoch wäre, wie nötig, um die absolute Zahl der Bürger im arbeitsfähigen Alter stabil zu halten.) In dem Nachfolger »A Blueprint for Action: A Future Worth Creating« widerspricht Barnett der pessimistischen Sicht von der »Globalisierung des Islam« (Globalized Islam; Titel eines Buches von Olivier Roy) und setzt dagegen seine Vision, dass der Islam sich in Europa wandeln werde (S. 292).
Obwohl ich ihm in diesem Punkt zustimme, vertritt Barnett aufs Ganze gesehen eine Theorie (wenn man es denn so nenne will), die ich nicht teile, mit einer positiven Sicht auf den »Leviathan«. Aber darum geht es hier nicht. Sondern darum, dass nicht nur der Mainstream seine Lügenpresse hat. Weder hat Barnett gesagt, was ihm unterstellt wird, noch stünde es in seiner Macht, das, was ihm unterstellt wird, realpolitisch durchzusetzen.
P.S. Wenn mir jemand bessere Quellen nennt oder gar das Zitat im Original nachweisen kann, bin ich gern bereit, zurückzunehmen, was ich hier geschrieben habe.