Die neue APO – Leseproben

von Stefan Blankertz

Demokratie ohne Opposition. Die außerparlamentarische Opposition, APO, war die Herausforderung der etablierten Politik durch die Neue Linke in den 1960 er Jahren. Inzwischen sind die alten Neuen Linken und ihre Nachfahren zu staatstragenden Kräften schlechthin verkommen. Die neue APO steht stramm rechts. Aber sie macht die gleichen Fehler wie der linke Vorläufer.

»Für die herrschende Klasse ist es ein glücklicher Umstand, dass weder die Außer-Parlamentarische Opposition noch die oppositionellen parlamentarischen Parteien, egal ob von links oder von rechts, je begreifen, wo die Ursache der Probleme liegt. Sie verorten die Ursache in einer Schwäche des Staats – der Staat wehrt die Flüchtlinge nicht ab, der Staat verhindert die Islamisierung nicht, der Staat tut nicht genug für den Umweltschutz, der Staat sorgt nicht für soziale Gerechtigkeit oder was auch gerade der angesagte Inhalt ist – und sehen die Lösung des Problems in seiner Stärkung. Wer auch immer die politischen Auseinandersetzungen gewinnt, diejenigen, die von den Staatstätigkeiten profitieren, ziehen ihren Nutzen daraus. Ihr Wohlstand und ihre Macht werden zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt und gefährdet.«

»Und weil jene ›schweigende Mehrheit‹ beharrlich weiter schwieg, war der Siegeszug der Linken nicht aufzuhalten. Allerdings verwandelte sich der Impuls der Neuen Linken, ein alternatives Leben außerhalb und mit Widerstand zum Staat zu organisieren, in sein glattes Gegenteil: Die Macht des Staats wurde genutzt, nicht etwa, um mehr Freiräume für ›jeder macht sein eigenes Ding‹ zu eröffnen, sondern um die eigenen Vorstellungen durchzusetzen und Anderen aufzuzwingen. Heute weiß keiner mehr, der sich gegen die herrschenden Linken stemmt, eine schweigende Mehrheit hinter sich. Indem man vom ›Mainstream‹ spricht, gibt man zu, dass die schweigende Mehrheit gleichsam die Seite gewechselt hat. Der Hauptstrom schwimmt jetzt in die linke Richtung (die, gemessen an dem ursprünglichen Impuls der ›Neuen Linken‹, gar nicht mehr nach links weist).«

»Die Berufung auf die schweigende Mehrheit war auch darum so praktisch, weil es nicht nötig war, sich mit den Theorien der Neuen Linken auseinander zu setzen. Die Mehrheit war (angeblich) dagegen. In einer Demokratie reicht das doch als Argument, oder? Aber was tun, wenn die Mehrheit nicht mehr »dagegen« (wogegen auch immer) ist? Damals, Ende der 1960er Jahre wollte die Mehrheit zu einer ›Normalität‹ zurückkehren, von der die meisten noch eine gewisse Vorstellung hatten, auch wenn es bei näherem Hinsehen viele unterschiedliche Vorstellungen waren. Doch die vom Staat verordnete neue Lebensweise wird, egal um welche es sich handelt, nach einer gewissen Zeit genau zu jener Normalität, auf der die schweigende Mehrheit so beharrt.«

»Die Lage stellt sich heute aber anders dar als in der Nachkriegszeit. Die herrschende Linke ist konservativ. Sie wiegt sich in Sicherheit, die schweigende Mehrheit stehe hinter ihr. Sie braucht die intellektuelle Auseinandersetzung nicht mehr. Sie diskreditiert gegnerische Positionen als ›absurd‹, gefährlich, kriminell usw. und weigert sich, theoretische Ansätze aus dem konservativen, dem klassisch liberalen und dem libertären Lager auch bloß anzuschauen.«

»Leider ist es meiner Erfahrung nach nicht so, dass die Opposition gegen den Mainstream sich durch Besinnung auf die bourgeoise Tugenden auszeichnet. Egal, um welche Frage es sich handelt, wer eine andere Meinung vertritt als man selber, ist ein Idiot; und wer mit einem Idioten spricht, ist ebenfalls ein Idiot. Ja, sogar der altehrwürdige Begriff der Toleranz, von F.A. Hayek noch als der Kern der liberalen Utopie und Antrieb für liberales Engagement sogar höher geschätzt als der Begriff der ›Freiheit‹, klingt der Opposition neuerdings schon verdächtig. Weil der Begriff der Toleranz vom herrschenden Mainstream missbraucht wird, um Intoleranz zu begründen, geht die Opposition dazu über, Toleranz als gesellschaftliches Konzept abzulehnen. Auf der Ebene der Realität, jenseits vom Wortgedampfe, das um sie gemacht wird, gleicht sich die Opposition somit dem herrschenden Mainstream auf verhängnisvolle Weise an: Die ›Gesellschaft ohne Opposition‹, die Herbert Marcuse in den 1960 er Jahren befürchtete, hat zur sozialen Realität sich gemausert.«

»Contrarians kopieren die p.c.«

»Neben dem Bourgeois gab es in der Tat auch den petit bourgeois, den Klein- oder Spießbürger. Der Kleinbürger, geübt in unselbständiger, von einer Hierarchie abhängiger Arbeit, meist für den Staat oder in staats-nahen Institutionen, ist ganz im Gegensatz zum kosmopolitischen Bourgeois engstirnig. Ihm macht Abweichung Angst. Er ist seiner Selbst und seiner Fähigkeit, in seiner Umwelt zurecht zu kommen, so unsicher, dass er bereits in der Existenz einer anderen Meinung oder gar eines anderen Lebensstils eine Bedrohung seiner eigenen Existenz sieht.«

»Beide Seiten sehen ihren Kampf gegen die jeweils andere als einen Kampf gegen Verbrechen und Krankheit; auf Verbrechen und Krankheit aber wäre die Idee von Meinungsfreiheit und Toleranz nicht anzuwenden. Demgegenüber ist bei ein wenig Nachdenken klar, dass Meinungsfreiheit nur meinen kann, dass die Freiheit besteht, sich abweichend zu äußern. Den Begriff der ›Toleranz‹ finde ich gerade darum treffend, weil er »erdulden« oder gar ›erleiden‹ bedeutet. Viele Menschen leiden tatsächlich darunter, wenn jemand Anderes etwas Anderes meint, glaubt oder tut, als er selber es für richtig, anständig, normal, natürlich, gesund usf. hält. Es auszuhalten, dass er das darf, ist Grundvoraussetzung für einen möglichen Frieden.«

»Die Freiheit erhalten und womöglich freiheitliches Terrain vom Staat zurückerobern, kann man niemals, indem man nur für die eigene Freiheit des Glaubens, Meinens, Handelns eintritt, während man der gleichen Freiheit der Anderen indifferent oder gar feindlich gegenüber steht. Freiheit ist unteilbar, wie Ludwig von Mises sagte. Bloß wer die Freiheit des Anderen verteidigt, auch und gerade solcher Anderen, die einem selber ganz und gar nicht behagen, wird für sich Frieden und Freiheit erringen.«

»In ihrer Außer-Parlamentarischen Opposition gehen die Konservativen heute nicht weit genug zurück. Nichts zu spüren vom ›neolithischen‹ Konservativismus, den der Neue Linke Goodman im Sinn hatte, oder davon, dass der ›Paläokonservativismus‹ seinem Begriff gerecht wird. Gegen das zunehmende Eindringen von Staat und öffentlicher Meinung in den Privatbereich wird nicht das Zurückdrängen gesetzt, vielmehr ein Eingreifen mit anderen Vorzeichen. Im Angesicht des politischen Gegners wird nicht argumentiert, sondern moralisiert, sich empört und oftmals derb oder schon obszön gepöbelt.«

»Bismarck hätte demnach auf der ganzen Linie verloren, hätte er nicht jenes eingeführt, was er zeitweise sogar selber als Staatssozialismus bezeichnete. Ihm schwebte eine gesetzliche Rundummversorgung aus Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Unfallversicherung vor, und ging, soweit er es durchsetzen konnte, die ersten Schritte in diese Richtung. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften, die keiner anarchistischen Tendenz verdächtig waren, opponierten gegen die Strategie von Bismarck, denn ganz realistisch sahen sie, dass den Arbeitern damit die Selbstverwaltung ihrer eigenen Versicherungs- und Genossenschaftsfonds verloren gehen würde. Für einen sehr kurzen Augenblick realisierten sie intuitiv vor-theoretisch, was später erst Milton Friedman auf seinen Begriff brachte: Gegen ein anscheinend kostenloses, also aus Steuergeldern finanziertes Angebot kann man nicht anstinken.«

»Die Gegner der Einwanderung wissen wohl sehr genau, dass Privatisierung die Tendenz hat, homogene soziale Umfelder aufzulösen. Geschichte, Empirie und ökonomische Theorie beweisen das: Multi-Kulti ist nicht Ergebnis von sozialstaatlichen Interventionen, sondern von Kapitalismus.«

»Die ›linke‹ Strategie, gleiche Umweltbedingungen für die Kinder zu schaffen, führt zu einem immer Größerwerden des genetischen Einflusses, zu einer Verstärkung des durch das Individuum nicht zu beeinflussenden Faktors seiner Erbanlagen. Die Strategie steigert die Ungleichheit, senkt sie nicht, sie ist letztendlich die Verwirklichung des alten konservativen Ideals einer rein durch Erbe bestimmten Gesellschaft. Gleichheit ist tatsächlich im klassisch liberalen Ideal einer Gesellschaft dagegen zu verwirklichen, in der selbstgeschaffene und differenzierte Umwelten den individuellen Spielraum für eigene Entwicklungen garantieren. Brisante Schlussfolgerung: Wenn sich religiöse, kulturelle, rassische Minderheiten oder Migranten nicht durch das herrschende deutsche Schulsystem ›integrieren‹ lassen und wenn sie in diesem System versagen, heißt das keineswegs, dass sie sich nicht besser entwickeln könnten. Sie ins System zu pressen, bedeutet, dass ihre schlechte Position sich verfestigen wird.«

»Warum mit Verschwörungstheorien sich befassen? Sie sind Ideologie. Die politisch-wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Welt führen sie auf die böse Absicht einer Gruppe von Verschwörern zurück. Hiermit wird verschleiert, dass die Schwierigkeiten unerwünscht, aber mit Notwendigkeit aus einem System folgen, welches durch Gewalt, Monopol, Zentralismus und Zwang beste Absichten in die schlechtesten Ergebnisse verwandelt. Verschwörungstheorien stellen Verschwörungen dar zugunsten der Herrschenden.«

»Dem ›Truther‹ reicht die eigene Vermutung zum Beweis, dem ›Mainstreamer‹ ein Medienbericht.«

»Ein Problem der Demokratie besteht darin, dass stets abgestimmt wird von Nichtbetroffenen über die Betroffenen.«

»Das Auffällige an Syriza jedoch ist, dass diese Partei weder in der Tradition des klassischen Kommunismus vom Anfang des 20. Jahrhunderts steht, der eine auch formal vollständige Enteignung anstrebte, noch in der der anti-autoritären Neuen Linken von der Mitte des 20. Jahrhunderts, die sogar durch eine gewisse Skepsis gegen zentralstaatliche Institutionen sich auszeichnete. Syriza hat eine ganz andere soziologische Charakteristik. Die Wählerschaft stammt vor allem aus der Mittelschicht, aber aus jener Mittelschicht, welche ihr Einkommen über staatliche oder staats-nahe Quellen bezieht. Diese Mittelschicht ist von der Schuldenkrise des Staats besonders bedroht. In allen Demokratien setzen sich die Volksvertreter zusammen vornehmlich aus Berufspolitikern, die nie etwas außer der Politik getrieben haben, Beamten, Juristen, Lobbyisten und anderen staats-nahen Professionen. In Griechenland nun hatte der Staat durch den Wahlsieg Syrizas eine gleichsam autonome Mehrheit erlangt: Bezieher von Steuergeldern wurden durch Bezieher von Steuergeldern gewählt, ohne auf die Koalition mit den Produzenten des Wohlstandes angewiesen zu sein.«

»Auf der anderen Seite ist es verständlich, dass ein Großteil der griechischen Wähler unzufrieden mit einer Situation ist, in der Entscheidungen über die griechische Politik nicht durch die von den Wählern bestimmten Vertreter, sondern in Brüssel gefällt werden. In dieser Hinsicht gehört Syriza der gleichen Bewegung an wie auch die AfD: Die entfernte, schlecht bis gar nicht demokratisch legitimierte und kaum kontrollierbare, undurchsichtige Bürokratie der EU macht Angst. Sie erzeugt bei den Wählern ein noch stärkeres Gefühl der Ohnmacht, als es die zentralstaatlichen Bürokratien in den Mitgliedsländern sowieso schon getan hatten.«

»Die verheerende Folge der Blockupy-Randale besteht darin, dass sie die Kritik an der Europäischen Zentralbank sowie an allen übrigen Institutionen der Union lächerlich macht. Die Randale versorgt den Staat mit frischer Legitimität. An dieser Stelle trafen sich die Randalierer auf den Straßen von Frankfurt mit denen, die es bis in die Regierung Griechenlands geschafft haben.«

»Ein marxistisches Programm für Griechenland und über Griechenland hinaus, nicht wörtlich von Marx, zusammengesetzt aber aus verstreuten Bemerkungen in verschiedenen seiner Schriften, könnte folgende sexy Eckpunkte haben, die überraschenderweise mehr mit den radikal liberalen als mit den heutigen linksradikalen Ideen übereinstimmen:

  1. ›Emanzipation von der Blutsteuer: Schluss machen mit dem stehenden Heer, der Quelle für Besteuerung und Staatsschulden.‹
  2. ›Abschaffung der unproduktiven, schädlichen Tätigkeit der Staatsparasiten, denen ein riesiger Anteil des Nationalprodukts für die Sättigung des Staatsungeheuers zum Opfer gebracht wird.‹
  3. Abschaffung des Papiergelds. Stattdessen Warengeld, das sich im Tausch von selbst (›naturwüchsig‹) ergibt.
  4. Abschaffung der Bankenprivilegien, ›mit denen sich die Regierung des Landes bemächtigt‹.
  5. Abschaffung von ›Staatsschulden, Steuerwucht (die zum Ruin kleiner Bauern, Bürger und Handwerker wird) und Protektion.‹
  6. ›Das Volk sieht ein, dass es solidarisch verantwortlich ist für die Verweigerung der Steuern.‹

Meißelt es euch in Stein: Marx war kein Etatist. Nichteinmal ›Marxist‹. Der Marxismus verbreitet sich, insoweit er den Herrschenden nützt. Marx aber lieferte eine, wie fehlerhaft im Detail auch immer, Kritik der Herrschenden.«

»1915 meldete sich der 18jährige Ernst Jünger freiwillig, um dem als öde erlebten Schul- und bürgerlichen Alltag zu entkommen und ›etwas‹ bzw. ›Abenteuer zu erleben‹. Diese Motivation verlängert Jünger in einer 1924 hinzugefügten (jedoch 1934 wieder gestrichenen) Passage auf seine ganze Generation: ›Eine lange Zeit der Ordnung und des Gesetzes, wie sie unsere Generation hinter sich hatte, bringt einen wahren Heißhunger nach dem Außergewöhnlichen hervor.‹ Nicht Heldentum, Aufopferung für eine Sache, kein Nationalismus und schon gar nicht Deutschtümelei drücken sich in dem Satz aus. Er bestätigt vielmehr die auf Wilhelm Reich basierende gestalttherapeutische Theorie, warum die Menschen in bestimmten Situationen geneigt sind, den ›Massenselbstmord durch Krieg‹ mitzumachen: Befreiung aus der Enge der ›organisierten Gesellschaft‹.«

Aus: Stefan Blankertz, Die neue APO: Gefahren der Selbstintegration, Schriftenreihe des Murray Rothbard Instituts für Ideologiekritik, edition g. 123