Wo kommst du her?

Stefan Blankertz

Ein neoliberaler Kulturmaxist[1] antwortet Alice Hasters

Disclaimer

00.0 In diesem Text verwende ich den Begriff »Rasse« so, wie er in rassistischen Theorien verwendet wird. Damit wäre noch nicht entschieden, dass, ob bzw. in welcher Weise außerhalb dieser Theorien es sinnvoll sein könnte, innerhalb der Gattung Mensch (biologische) »Rassen« zu unterscheiden.

Schauplatz

01.1 Ich bin ein Mann, Elderly and White (MEW), Alice Hasters ist eine Frau, Jung und Schwarz (FJS).[2] Wenn diese äußerlichen Gruppen-Identitäten eine Rolle in der Diskussion und in der Bewertung der Argumente spielen sollten, bräuchte weder diskutiert noch argumentiert zu werden: Darüber, wer »Recht« habe, würde dann die Zugehörigkeit zu der je favorisierten Gruppe entscheiden.

01.2 Die im Folgenden von mir vorgestellte These lautet, eine Analyse und sinnvolle Bekämpfung des Rassismus sei unmöglich, ohne die ideologische Funktion des Rassismus in der Ökonomie der Staatsgewalt zu beleuchten.

Erfahrung und Theorie

02.1 Das Buch »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten« von Alice Hasters (München 2019) ist komponiert um persönliche Erfahrung herum[3] mit einigen wenigen geschichtlichen, noch weniger soziologischen Einsprengseln sowie Splittern von Theorie.

02.2 Nun ist gegen die Veröffentlichung persönlicher Erfahrungen kaum etwas einzuwenden. Wenn mit ihnen aber Aussagen allgemeiner Art, gesellschaftliche Forderungen oder gar Maßnahmen der Staatsgewalt begründet werden sollen, ist durchaus ein Fragezeichen angebracht. Persönliche Erfahrungen überzeugen scheinbar, denn sie lassen sich nicht anzweifeln, ohne die Glaubwürdigkeit desjenigen in Frage zu stellen, der die Erfahrungen mitteilt; und ein solches Infragestellen der Glaubwürdigkeit ist stets ein unfreundlicher, aggressiver Akt.

02.3 Bei näherem Hinsehen überzeugen die persönlichen Erfahrungen allerdings nur den, der eh schon überzeugt ist – so wie das beim Witz auch der Fall ist (Jan Böhnermann lässt grüßen, oder auch nicht).[4] Die persönliche Erfahrung der (weißen) Frau, deren Schwester durch einen (schwarzen) Mann ermordet wurde, wird Alice Hasters nicht zulassen als Beweismittel für die Verallgemeinerung dieser Frau, Schwarze seien Kriminelle, die eingesperrt gehörten. Sie wird die Behauptung dieser Frau soziopsychologisch und statisch argumentierend entkräften und damit deren Schmerz kaltherzig[5] übergehen.

02.4 Als persönliche Erfahrungen akzeptiere ich selbstverständlich alles, was Alice Hasters schreibt; Gegenstand der Auseinandersetzungen sind die von ihnen losgelöst zu betrachtenden Verallgemeinerungen.

02.5 Apropos persönliche Erfahrungen. Ich selber könnte etwa beisteuern, dass ich weiland die begehrte Professur nicht bekam, weil ich keine Frau bin. Zugegeben, kein Beispiel für Rassismus. Aber Alice Hasters wünscht sowieso nicht, zwischen Rassismus und Sexismus zu unterscheiden.[6] Wer meiner Interpretation des Sachverhaltes widersprechen wollte, gehörte im Falle einer identitätslogischen Argumentation einfach der falschen gesellschaftlichen Subgruppe an.  (Die vermutlich richtige Interpretation des damaligen Sachverhalts wäre allerdings, dass ich nicht berufen wurde, weil ich Anarchist bin. Und das ist auch gut so: Ein Anarchist als Staatsangestellter?, was für eine Lächerlichkeit! Die Kommission[7] hat vorausahnend mütterlich gehandelt; heute würde ich vom linksfaschistischen Mob an der Uni niedergebrüllt. Damals hingegen, oh gute alte Zeit, galt Anarchismus als radikal links. Erst in den letzten Jahren wurde er von der herrschenden Meinung, der Meinung der Herrschenden, nach rechts verschoben. Das zu Alice Hasters bemerkenswertem Statement, »Politik und Gesellschaft rücken [derzeit] immer weiter nach rechts«.[8] Zur Erinnerung: Es gab mal eine Zeit, in der Josef Stalin die Definitionshoheit darüber beanspruchte, was links ist.)

Ebene 1 der Rassismusdefinition: Kolonialismus und Versklavung

03.1 Es gilt, drei Ebenen des Rassismus in der Definition von Alice Hasters zu unterschieden, die Alice Hasters ständig durchmischt. Mit Ebene 1 bezeichne ich Rassismus als Theorie des »natürlichen« Herrschaftsanspruchs einer Rasse[9] über eine andere Rasse im Sinne von Kolonialisierung oder Versklavung.

03.2 Diese Theorie ist laut der üblichen Geschichtsschreibung der Grund für Kolonialisierung und Versklavung. So auch bei Alice Hasters, »Rassismus ist ein System, das mit der Absicht entstanden ist, eine bestimmte Weltordnung herzustellen[10]  Allerdings zitiert sie auch die deutsche Antirassismustrainerin Tupoka Ogette, die das Gegenteil sagt: »Die Europäer waren nicht zu Sklavenhändlern geworden, weil sie Rassisten waren. Sie wurden zu Rassisten, um Menschen für ihren eigenen Profit versklaven zu können.«[11] Dass die beiden Erklärungen einander widersprechen und ausschließen, bemerkt Alice Hasters nicht.

03.3 In Tupoka Ogettes Erklärung lassen sich statt »Europäer« auch andere Sklavenhalter, zum Beispiel Muslime, einsetzen und gleichwohl bleibt sie genauso richtig. Alice Hasters sieht das anders: »Wenn also jemand glaubt, Schwarze seien von Natur aus Weißen überlegen, dann ist das zwar theoretisch ein rassistischer Gedanke – aber praktisch ein recht wirkungsloser.«[12] Das ist faktisch falsch; schwarzer Rassismus hat sich etwa als Staatsgewalt in Uganda unter Idi Amin gegen Menschen asiatischer Herkunft (1972) oder in Simbabwe unter Robert Mugabe gegen weiße Farmer (2000) entladen. Allerdings auch hier natürlich nicht als Ursache, sondern als Deckmantel für ökonomische Interessen des Staats, unter deren Vollzug die schwarze Bevölkerung heftig zu leiden hatte. Die Ideologie sollte deren Leid kaschieren und deren Wut so kanalisieren, dass sie nicht sich gegen die Staatsgewalt richtete. Falls die Araber zu den nicht-weißen Menschen zählen – jedenfalls zählt Alice Hesters »deutsche Hijabi« zu denen, die unter rassistischen Vorurteilen zu leiden hätten[13] –, ist der in etlichen arabischen Staaten institutionalisierte Antisemitismus ein weiteres Beispiel für wirkmächtigen Rassismus von Schwarz gegen Weiß, obgleich Araber und Juden als Semiten der gleichen ethno-linguistischen (»rassischen«) Quelle entstammen.

03.4 Nein, die rassistischen Theorien stellen niemals und nirgends den Grund für Kolonialisierung oder Versklavung dar, die vielmehr auch vor Aufkommen dieser Theorien und unabhängig von ihnen aufgetreten sind. Der Grund ist die ökonomische Logik der Staatsgewalt. Die rassistischen Theorien, egal ob in der europäischen Antike oder in der Neuzeit, im prä- oder postkolumbianischen Amerika, egal ob im Abend- oder Morgenland, in Asien oder Afrika, dienen der ideologischen Rechtfertigung (Überbau) dessen, was ohnehin schon per Staatsgewalt festgelegt worden ist. Bei Kolonialisierung und Versklavung geht es ganz offensichtlich um die gewaltsame Aneignung fremder Arbeitsleistungen.

03.5 Im Gegensatz zu linken und rechten[14] Narrativen hat der Kapitalismus (im Sinne freiwilliger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Interaktion) keine Aktien in der Kolonialisierung; radikalliberale Verfechter des Kapitalismus wie die zu Unrecht verrufenen Manchesterliberalen in England oder William Graham Sumner in den USA waren aktive Antiimperialisten.

03.6 Sklavenhandel und Kolonialismus sind, anders als Alice Hasters suggeriert, kein Monopol weißer Menschen. Der bereits vor der Islamisierung begonnene und im Islam fortgeführte arabische  Sklavenhandel ist ein Beispiel hierfür. Saleh ibn Fawzan, wichtiger Autor saudi-arabischer Lehrpläne und Mitglied des staatlichen »Ständigen Komitee für wissenschaftliche Untersuchungen und Fatwa-Erteilung« in Saudi Arabien, hält Sklaverei noch heute für mit dem Islam verträglich.

Ebene 2 der Rassismusdefinition: Institutionelle Diskriminierung

04.1 Mit Ebene 2 bezeichne ich Rassismus als Theorie der »natürlichen« Minderwertigkeit einer Rasse, um diese institutionell zu benachteiligen (Heiratsverbot, Ausschluss von Bildung oder von Berufen usw.) oder um sie gar zu vernichten. Anders als Alice Hasters behauptet, wird auch diese Form des Rassismus nicht ausschließlich von Weißen gegen Schwarze gerichtet.

04.2 Oft verbindet diese Form des Rassismus sich mit religiösem Wahn, so etwa beim Antisemitismus oder bei der Verfolgung der Rohingya in Myanmar. Der religiöse Antisemitismus des Christentums unterscheidet sich zwar in der Hinsicht der Theorie vom rassistischen Antisemitismus der paganen Nationalsozialisten, aber in ideengeschichtlicher, psychologischer und soziologischer Hinsicht kann der eine aus dem anderen hervorgegangen sein. Ohne die christliche Judenverfolgung im geringsten bagatellisieren zu wollen, liegt der Unterschied zu derjenigen des nationalsozialistischen Staats darin, dass der konvertierte Jude für den christlichen Antisemiten kein Jude mehr ist, in den Augen des Nationalsozialisten aber keine Chance hat, so wenig wie der muslimische Rohingya in den Augen des Myanmar-Buddhisten.[15]

04.3 Wiederum setze ich ein Fragezeichen dahinter, ob die rassistischen Theorie der Minderwertigkeit einer Rasse die Ursache von Verfolgung oder Ausgrenzung sei, oder nur deren Rationalisierung. Der Fall ist in dieser Hinsicht allerdings meines Erachtens nicht so klar und eindeutig gelagert wie der des Rassismus als Rechtfertigung von Kolonialisierung und Versklavung.

04.4 Religion, Rasse, Ethnie, nationale Zugehörigkeit werden wahlweise und austauschbar als Mittel der Stigmatisierung unerwünschter Menschen oder als Mittel der gemeinsamen Identitätsstiftung über andere Gräben eingesetzt, zum Beispiel die Religion zur Formierung einer Einheit über ethnische oder nationale Unterschiede oder die Nation zur Formierung einer Einheit über religiöse oder ethnische[16] Unterschiede hinweg. Sowohl die Funktion zur Identitätsstiftung als auch diejenige zur Stigmatisierung sind anscheinend jeweils anderen Interessen untergeordnet und werden zur Verstärkung benutzt gemäß der Wendung von Theodor W. Adorno in Bezug auf die Kulturindustrie, diese formiere die Menschen nicht, sondern mache sie noch einmal zu dem, was sie ohnehin schon sind.[17] In genau solch einer Weise funktionieren meines Erachtens rassistische Theorien. Sie dienen der Ökonomie der Staatsgewalt, indem durch sie sich die (meist vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht die Bevölkerung drückenden) Probleme, die die Staatsgewalt schafft, ideologisch auf andere Ursachen, das Walten böser Mächte der Verschwörung feindlicher Völker oder Religionen projizieren lassen. Ein besonders tragisches historisches Ereignis sind die nach dem us-amerikanischen Bürgerkrieg aus befreiten Sklaven gebildeten Sondereinheiten, die die Reste der Sioux jagten, weil die aus nachvollziehbaren Gründen auf Seiten der Südstaaten gekämpft hatten.[18]

Ebene 3 der Rassismusdefinition: Biologistische Hypothesen

05.1 Als Ebene 3 bezeichne ich der Form nach wissenschaftliche Hypothesen, die einer genetisch definierten Gruppe (»Rasse«) bestimmte Eigenschaften zuschreiben; Alice Hasters subsumiert sie unter ihren pejorativ (nicht deskriptiv) gemeinten Begriff des Rassismus und unterschiedet sie ausdrücklich nicht von den beiden anderen Ebenen (1. Rassismus als Rechtfertigung von Kolonisation und Versklavung sowie 2. Rassismus als Rechtfertigung von institutioneller Diskriminierung oder Verfolgung anderer »Rassen«).

05.2 Seit längerem geistert in der Schmuddelecke der Wissenschaft beispielsweise die Hypothese herum, »Schwarze« (im Sinne von Afrikanern und Afroamerikanern) seien vom statistischen Durschnitt her gesehen aus genetischen Gründen weniger intelligent als Weiße (und, wohlgemerkt, Weiße im Sinne von Europäern und europäischstämmigen Amerikanern weniger intelligent als Asiaten).[19] Was diese Hypothese am Leben erhält, ist zwar nicht nur, aber unter anderem auch, dass sie als »rassistisch« stigmatisiert und deshalb für nicht der Entgegnung durch Argumente würdig befunden wird; dies verleiht der Hypothese den Anstrich von wissenschaftlicher Sauberkeit im Widerstand gegen Zensur. Interessanterweise üben diese Zensur genau diejenigen aus, die bei anderen Themen stets »die (objektive, statistisch untermauerte) Wissenschaft« als sakrosankt bezeichnen und jeden, der Einwände formuliert, als »Leugner« ausgrenzen.

05.3 In diese Ebene gehört natürlich ebenfalls die Frage, inwieweit es überhaupt Sinn macht, von »Rassen« zu sprechen. Der Hinweis des Evolutionsbiologen Richard Lewontins (Achtung: weißer Mann), die genetische Varianz innerhalb der traditionell konstruierten angeblichen »Rassen« sei höher als die innerhalb der Einen Menschheit, ist bedenkenswert, letztlich aber nicht ganz überzeugend. Die Größenvarianz innerhalb der Gruppe der Frauen und innerhalb der Gruppe der Männer ist höher als die zwischen allen Menschen. Eine zufällig ausgewählte Frau kann einer statistisch bestimmbaren Wahrscheinlichkeit nach größer sein als ein zufällig ausgewählter Mann; gleichwohl ist es der menschlichen Wahrnehmung nach sinnvoll, davon auszugehen, dass Männer größer als Frauen seien.[20] In gleicher Weise gibt es bei Menschen Kennzeichen wie Haut- und Haarfarbe oder Augenform, die weitgehend genetisch festgelegt sind und über Kulturen und Ethnien hinweg Gemeinsamkeiten stiften. In wie weit diese genetischen Gemeinsamkeiten auch mit anderen Kennzeichen oder Eigenschaften genetisch fest verbunden seien (ohne dass diese Verbindung aufgrund einer Stigmatisierung durch Andere oder aufgrund einer Identifikation durch die Stigmatisierten selber als Umwelteinfluss hergestellt wird), ist eine berechtigte Frage, wie immer sie auch ausgeht. Ob man diese durch gemeinsame genetische Kennzeichen definierten Gruppen dann mit dem belasteten Begriff »Rasse« belegen sollte, ist eine weitere Frage; ich selber meide den Begriff, wo es möglich ist. Andere als soziokulturelle Unterteilungen kategorisch auszuschließen, wie Alice Hasters es tut,[21] ist aber bestenfalls voreilig und dogmatisch, schlimmstenfalls mündet es in Zensurfantasien gegen Andersdenkende.

Das Problem mit dem Begriff »Alltagsrassismus«

06.1 Als ersten Mangel der Analyse vermischt Alice Hasters die bezeichneten Ebenen des Rassismus ohne Rücksicht auf deren ideologische Funktion innerhalb der Ökonomie der Staatsgewalt.

06.2 Den Hauptmangel sehe ich aber in der Konstruktion des »Alltagsrassismus«, der meines Erachtens unter die Rubrik »Vorurteil« gefasst werden sollte.

06.3 Alice Hasters schließt an die deutsche Antirassismus-Aktivistin Noah Sow an und schreibt: »Würde man […] annehmen: ›Weiße Menschen sprechen hoch, Schwarze Menschen haben eine tiefe Stimme‹, dann mag da erst einmal keine Wertung vorliegen. Rassistisch ist die Aussage trotzdem.«[22] Auch hier wieder ihre charakteristische Vermischung der Ebenen: Bei der Aussage kann es sich um eine Hypothese handeln, die sich mittels einer empirischen Untersuchung verifizieren oder falsifizieren, also als richtig oder falsch erweisen lässt, und dann ist sie (nach meiner Definition) per se nicht »rassistisch« im pejorativen Sinne: Dann gehört die Aussage in die Ebene 3.[23] Oder die Aussage mag ein Vorurteil sein, das sich – wie in Punkt 8 deutlich werden wird – mit einer positiven oder negativen Konnotation verbindet.

06.4 Alice Hasters unterstellt, dass die rassistischen Theorien der Ebene 1 bis 3 – 1. Rassismus als Begründung von Kolonialisierung und Versklavung, 2. als Begründung von institutioneller Ausgrenzung und Verfolgung sowie 3. als wissenschaftliche Hypothese zu genetischen Gruppenmerkmalen – unmittelbare Ursache des alltäglich erfahrenen Rassismus seien. Die Erfahrungsberichte über Alltagsrassismus machen den größten Teil ihres Buches aus. Die Herkunft des Alltagsrassismus aus den rassistischen Theorien wird allerdings stets nur unterstellt, niemals belegt; sie scheint ihr selbst-evident zu sein, keiner weiteren Untersuchung würdig oder bedürftig.

Wahrnehmung bezeichnet kategoriale Unterschiede

07.1 Es ist für die menschliche Wahrnehmung praktisch und vermutlich unvermeidlich, Gegenstände – und darunter natürlich auch Mitmenschen – in heuristischen Kategorien zusammenzufassen. In einer Gruppe aus neun Frauen und einem Mann,[24] macht es Sinn, von »dem Mann« zu sprechen, und jeder weiß, wer gemeint ist, nicht aber von »einer Frau«. Wenn von den Frauen nur eine einen Rock trägt, ist sie als »die Rockträgerin« genau bezeichnet, unter den anderen aber ist keine als »Hosenträgerin« zu identifizieren. Eine Schwarze in einer Gruppe von Weißen ist so eindeutig bezeichnet, wie ein Weißer in einer Gruppe von Schwarzen. Alice Hasters selber schreibt: »Lange wusste ich nicht, wie angenehm es ist, nicht aufzufallen. Das erste Mal wurde mir das richtig bewusst, als ich in den USA in einen Bus stieg. In Deutschland ist das meist der Moment, an dem kurz Blicke an mir haften. Sie sind weder eindeutig bösartig noch eindeutig wohlwollend – doch es gibt sie. Im Bus in den USA war ich auf einmal die Norm. Ich konnte erstmals ausschließen, dass mich Menschen vorrangig wegen meiner Hautfarbe wahrnahmen. Ich war nicht ›die Schwarze‹, ich war höchstens ›die mit dem blauen Pullover‹ oder ›die mit den offenen Haaren‹.«[25] Einer rothaarigen Frau wird dieses Erlebnis »nicht aufzufallen, vielmehr die Norm zu sein« nie vergönnt sein, vermutlich selbst in Schottland – Anteil der Rothaarigen über 10% vor Irland mit um 10% (2005) – nicht.[26]

07.2 Natürlich ist es freundlicher, jemanden mit Namen zu identifizieren als mit der Haut- oder Haarfarbe oder mit einem Kleidungsstück. Doch es ist nicht natürlich gegeben, dass eine Identifizierung nach einem äußeren Kennzeichen die »Reduzierung« der Person auf dieses Kennzeichen in sich birgt. So kann ich nach einem Seminar mit Personen, deren Namen ich nicht behalten habe, sagen: »Die mit dem Rock hat etwas sehr Kluges beigesteuert.« Oder auch: »Die mit dem Rock finde ich attraktiv.«[27] Verallgemeinert kann man sinnvollerweise davon ausgehen, dass Frauen kleiner als Männer sind, obwohl es zahlreiche Gegenbeispiele gibt. Solche heuristischen Kriterien, die einer strengen Logik und Ausschließlichkeit nicht genügen, sind im Alltag unumgängliche Orientierungen, und Alice Hasters benutzt jede Menge davon, nicht zuletzt im Titel: »weiße Menschen«. Bin ich gemeint? Weitere Beispiele sind ihre Reduktionen[28] von Aristoteles, Thomas Jefferson, Immanuel Kant und G.W.F. Hegel auf rassistische Äußerungen.[29]

07.3 Eine eigene Erfahrung (mit allem Vorbehalt geteilt): In einer langjährigen Schreibgruppe stieß zu einem Treffen ein griechischstämmiger Mann zu uns, der Interesse bekundet hatte, mitzumachen, und zu einer Probesitzung eingeladen wurde. Gegen Ende des Treffens fragte eine Teilnehmerin ihn nach seinem Namen, sie sei ja öfter auch in Griechenland und würde ihn in anderer Form kennen. Erbost wandte er sich ab, indem er sagte, er lasse sich »nicht auf seine Herkunft reduzieren«, verließ das Treffen und kam auch nicht wieder. Natürlich, in der Nomenklatur von Alice Hasters wäre der Mann wohl sowieso ein Weißer und auch als Mann eben nicht satisfaktionsfähig – mithin nicht berechtigt, diese Formel zu benutzen.

07.4 Der Frage »Wo kommst du her«, die Alice Hasters so nervt, begegne ich auch oft, obwohl ich eindeutig als Biodeutscher zu identifizieren bin. Sie smalltalkgerecht[30] zu beantworten, fällt mir nicht leicht, schon die Kurzvariante – geboren in Bünde (Westfahlen), aufgewachsen (unter anderem) in Hamburg, Berlin und Münster, später lange im Rheinland ansässig, jetzt Berlin – sprengt bisweilen den Rahmen der Erwartungen. Die Frage ist als interessierte Kontaktanbahnung gängig und sinnvoll. Wenn syrische Migranten sich treffen, vorher nicht miteinander bekannt, hat meiner Erfahrung nach der Austausch über die Gegend, aus der sie stammen, eine wichtige Funktion. Natürlich kann die Frage tatsächlich abfällig gemeint sein – wo kommst du denn her? –; hier ist es hilfreich, Vorurteil durch Urteil zu ersetzen und, ein sicherer Raum vorausgesetzt, zu erkunden, was der Hintergrund der Frage ist.

07.5 Erkenntnispsychologisch gesagt: Auf Wahrnehmung basierende Aussagen können nichts anderes leisten, als kategoriale Unterschiede zu kennzeichnen.  Wahrnehmbar selber ist niemals etwas anderes als ein Unterschied, der bemerkt wird.

Von der Kategorie zum Vorurteil

08.1 Die heuristischen Kategorien lassen sich allerdings mit Vorurteilen verknüpfen und negativ (oder auch positiv) konnotieren.

08.2 Die »Rockträgerin« kann als konservativ angesehen werden, als jemand, der ein traditionelles Frauenbild habe, mit der AfD sympathisiere und dergleichen, ohne dass man sie gefragt hat. In einer Gruppe von Rockträgerinnen kann die Hosenträgerin als Emanze gelten, als Mannweib, als Lesbe.

08.3 Vorurteile sind lästig, ungerecht, manchmal gefährlich, aber vermutlich nicht zu vermeiden, weil Menschen darauf acht geben, Gefahren abzuschätzen und sich ihnen zu widersetzen.

08.4 »Es kann zum Beispiel sein, dass man am Tag gegen Rassismus demonstriert – und trotzdem Angst bekommt, wenn ein Schwarzer Mann einem nachts über den Weg läuft.«[31] Wenn es sich bei diesem »man« und »einem« (beide Male bezeichnenderweise nicht gegendert) um eine Frau handelt, tut sie vermutlich ziemlich gut daran, diese Vorsicht walten zu lassen. Alice Hasters hat Angst vor Neonazis,[32] obwohl statistisch gesehen derzeit in Deutschland (und übrigens auch in den USA) mehr Verbrechen von »People of Color«‚ so die von Alice Hasters bevorzugte, doch – wie in Punkt 12 deutlich werden wird – problematische Bezeichnung,[33] an Weißen als von Weißen (inklusive Neonazis) an Nicht-Weißen (ein noch problematischerer Begriff, da er ausschließlich von der Abgrenzung her lebt und keine eigene Identität zugesteht). Neonazis müssen übrigens nicht Weiße sein, auch Nicht-Weiße können Neonazis sein. So zum Beispiel in der Mongolei die extrem chinesenfeindliche und – hört, hört – umweltfreundliche Organisation Tsagaan Khas (»Weißes Hakenkreuz«).

8.5 Ein Vorurteil mag sich auch bilden an der Erfahrung und der statistischen Gegebenheit, wenn z.B. in der Hauptstadt des fiktiven – das Beispiel ist fiktiv gewählt, weil es nicht um die Diskussion der faktischen Lage in einer konkreten Stadt geht, vielmehr um eine Wenn-dann-Aussage – Ruritanien 80% der Vergewaltigungen durch muslimische Migranten begangen werden, die 20% der Bevölkerung ausmachen (oder genauer: 12% der Bevölkerung sind männliche muslimische Migranten). Gegenüber jedem einzelnen Migranten, dem eine Frau begegnen mag, ist die Zurückhaltung ein Vorurteil, denn trotzdem sind die meisten der männlichen muslimischen Migranten keine Vergewaltiger.

8.6 Ein individuelles Beispiel ist die Iranerin (sie selbst bestand darauf, als Perserin bezeichnet zu werden), die als Jugendlich in den 1980er Jahren zusammen mit ihrer Freundin zu Fuß über die Türkei von Iran nach Deutschlang migriert ist. Als ich sie kennen lernte, war sie inzwischen zu einer erfolgreichen Geschäftsfrau geworden. Sie betonte stets, dass sie sich niemals mit einem Moslem einlassen würde. Sicherlich ein Vorurteil, das jeden einfühlsamen und rücksichtsvollen moslemischen Mann tief verletzt und ihm Unrecht tut.

8.7 In einem bemerkenswerten Abschnitt – »Deine erste schwarze Freundin« – wendet Alice Hasters sich an einen stereotypisierten deutschen weißen Freund. Er sei »eine*r von den Guten«, »schließlich liebe ich dich ja. Doch ich muss ehrlich zu dir sein. Ich habe meine Vorbehalte.«[34] Vorbehalte. Vorurteile? Jedenfalls zeigt sich, dass auch Alice Hasters in Kategorien wahrnimmt und diesen Vorurteile zuordnet. (Disclaimer: Dies ist keine Vorwurf.)

Das Schweigen brechen: Vom Vorurteil zum Urteil

09.1 Vorurteile sind für jeden Unschuldigen in der Gruppe derjenigen, die das Vorurteil trifft, schmerzlich, und auf der Seite dessen, der dem Vorurteil folgt, borniert. Das Vorurteil durch ein Urteil zu ersetzen, hilft beiden Seiten.

09.2 Gleichwohl lässt sich das Vorurteil nicht bekämpfen, indem es stigmatisiert und zensiert oder indem es verboten wird, ihm Ausdruck zu verleihen.

09.3 Ebenso wenig hilfreich ist es im Kampf gegen Vorurteile, wenn Angehörige der Gruppe, die es trifft, sich im Verfahren der Opfer-Täter-Umkehr als die Opfer darstellen, während die Täter nun als Opfer erscheinen. Die Solidarisierung der Nicht-Täter einer Gruppe mit den Tätern in ihrer Gruppe und deren Einschluss in den begehrenswerten Status der Opfer, weil derzeit nichts so erfolgversprechend ist wie die Erlangung eines Opferstatus, ist ein wirksamer Hebel, um die Vorurteile zu verewigen. Ein unschuldiger Muslim ist nicht verantwortlich für die Taten der Islamisten, eine schwarze Frau ist nicht verantwortlich für die Taten eines schwarzen Mannes, so wenig wie ein nach dem zweiten Weltkrieg geborener Deutscher verantwortlich ist für die Gräuel der Nationalsozialisten; aber der Muslim, die schwarze Frau und der Deutsche sollten vor den Verbrechen, die aus der Mitte ihrer jeweiligen Identitäts-Gemeinschaft begangen werden oder begangen wurden, weder die Augen noch den Mund verschließen.

09.4 »Leute haben ernsthaft Angst davor, Muslim*innen könnten in den nächsten Jahren Deutschland vollkommen einnehmen und ein Kalifat errichten.«[35] In diesem Satz ist das Gendern besonders lächerlich, denn die Angst bezieht sich klarerweise nicht auf Muslima, sondern auf Muslime. Zwar wird es den Islamisten vermutlich nicht gelingen, in Deutschland ein Kalifat zu errichten; dass aber zumindest einige von ihnen den Willen dazu haben, lässt sich wohl kaum leugnen. Das beharrliche Leugnen oder Verschweigen der von Muslimen ausgehenden politischen oder kriminellen Verbrechen auf der Seite derer, die Migration befürworten, und auf der Seite der nicht-gewalttätigen Muslime selber ist unzweifelhaft ein Faktor dafür, dass die Fremdenfeindlichkeit[36] in Deutschland zugenommen hat.[37]

09.5 Hier trifft eine Passage bei Alice Hasters genau zu, die sie freilich ganz anders gemeint hat: »›Your silence will not protect you‹ – euer Schweigen schützt euch nicht. Das schrieb die Schwarze Dichterin und Aktivistin Audre Lorde. Schweigen zu brechen, mache Angst, gerade weil das Risiko bestehe, dass man missverstanden oder verletzt werde.«[38] Das Schweigen zu brechen, heißt, keine Opfer erster und zweiter Klasse zuzulassen. Das Schweigen über die gewalttätigen Genossen in den eigenen Reihen, egal welche es sind, schützt die Friedfertigen nicht; durch Reden aber begibt man sich in das Risiko, als Nestbeschmutzer und Verräter angeprangert zu werden.

Der hohe Preis auf Vorurteile

10.1 Das wirksamste soziale Mittel gegen Vorurteile sind Märkte, also das Interagieren von Menschen aufgrund von Freiwilligkeit. Unter der Bedingung von Freiwilligkeit ergibt sich ein hoher Preis auf Vorurteile (im Sinne von gesellschaftlicher, nicht von institutioneller Diskriminierung): Wer aufgrund von Vorurteilen agiert, dem entgehen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Chancen auf die jeweils besten menschlichen Kontakte; es zahlt sich aus, Vorurteile durch Urteile zu ersetzen. Kein Geringerer als Karl Marx konstatierte voller Bewunderung, dass der Kapitalismus alle sozialen und nationalen Schranken einreiße.[39]

10.2 Aber die Bedingung der Freiwilligkeit leistet noch etwas zweites, sie führt dazu, dass Vorurteile gesellschaftlich unschädlich sind: Den Schaden trägt allein derjenige, der borniert an Vorurteilen festhält. Alle Interventionen der Staatsgewalt in das freiwillige Handeln, sei es in wirtschaftlicher, sei es in gesellschaftlicher Hinsicht, senken demgegenüber den Preis auf allklägliche Diskriminierung und werden sie darum konservieren oder gar verstärken.

10.3 Du sollst dir kein Bild machen, heißt es in den zehn Geboten der Thora und der Bibel. Man muss sich aber ganz klar machen, dass keiner sein Image besitzt (sogar Gott nicht): Es ist nur unter Einsatz harter Gewalt möglich, überhaupt Zugriff auf das Bild zu nehmen, das Andere von einem selber haben, also auf die Fremdwahrnehmung, sofern man keinen sicheren Raum zur Verfügung stellt, es angstfrei äußern zu können. Auch schwerste Strafen treffen den Gottesverächter nicht, wenn dieser vorsichtig genug ist, sich nichts anmerken zu lassen.

Fremdherrschaft

11.1 Vom Vorurteil deutlich zu unterscheiden ist die Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie).[40] Fremdenfeindlichkeit steht derzeit auf der untersten sozialen Sprosse und niemand wird sich zu ihr bekennen.

11.2 Von dem seinerzeit als linksradikal verschrienen Ethnologen Christian Sigrist habe ich gelernt, dass Fremdenfeindlichkeit einer anti-herrschaftlichen Quelle entspringt.[41] Anarchistische Stammesgesellschaften – der Ursprung aller menschlicher Gesellschaft und allen menschlichen Rechtsdenkens – verfügen einen über viele Jahrtausende funktionsfähigen Mechanismus, die Entstehung von Herrschaft zu unterbinden, der allerdings an seine Grenzen stößt, wenn Außenstehende, die nicht Teil der »segmentären Opposition« sind, hinzutreten. Segmentäre Opposition bedeutet, dass bei Konflikten immer Gruppen gleicher Stärke gegeneinander antreten, sodass keine die Chance hat, die andere dauerhaft zu unterwerfen. Der Mechanismus beruht auf der Ethik der verwandtschaftlichen Beistandspflicht. Hieraus ergibt sich dann (nur dann) ein homöostatisches Gleichgewicht, wenn alle mit allen verwandt sind (was in anarchistischen Stammesgesellschaften gegeben ist): Der Mechanismus zur Aufrechterhaltung der Herrschaftslosigkeit wird demnach wirkungslos bei Konflikten mit Nichtverwandten.[42]

11.3 So borniert Fremdenfeindlichkeit zu sein scheint, sie hat auch heute noch immer den Aspekt, sich (die eigene Gemeinschaft, die eigene Kultur und Sprache, die eigenen Sitten) nicht überfremden lassen zu wollen. Gerade denen, die das Recht und die Autonomie indigener Völker verfechten, müsste dieser Aspekt einleuchten.

11.4 Und noch ein Disclaimer: Weder Christian Sigrist noch ich haben jemals fremdenfeindliche Aktionen für Recht befunden. Die Lösung jedoch liegt in der Herstellung der Bedingung der Freiwilligkeit, nicht in einer Verschärfung der Staatsgewalt, die die Fremdenfeindlichkeit stets unmittelbar oder mittelbar anheizen wird.

Allerleirauh Etymologisches

12.1 Ein Lapsus am Rande unterläuft Alice Hasters mit Bezug auf die Geschichte bestimmter Worte, die heute als stigmatisierend gelten. Das Kapitel über die Verbrechen des Kolonialismus im Allgemeinen und des deutschen Kaiserreichs im Besonderen, unter anderem den Genozid an den Herero (eine Bestialität, die sogar hartgesottene britische Kolonialbeamte schaudern ließ), sowie der Rassenpolitik der Nationalsozialisten schließt sie mit den Worten ab: »Wer nach diesem Kapitel immer noch denkt, hinter Wörtern wie ›N**ger‹, ›M*hr‹ oder ›In*ianer‹ würde keine böse Absicht stehen, dem oder der kann ich auch nicht mehr weiterhelfen.«[43]

12.2 Allerdings enthält das Kapitel gar keine etymologischen Überlegungen. Das inkriminierte N-Wort[44] war in den USA bis Anfang der 1970er Jahre der neutrale Ausdruck, »black« die Beleidigung. Genau den beleidigend gemeinten Ausdruck nahm die Black-Power-Bewegung auf und deutete ihn um um, so ähnlich wie türkischstämmige Jugendliche, die als »Kanaken« beschimpft wurden, schließlich den Ausdruck gebrauchten und neu besetzten. Der Ausdruck »Farbige« (People of Color), den Alice Hasters merkwürdigerweise favorisiert, stellte eine ganz besondere Herabsetzung und Negierung einer eigenen Identität dar. Der Ausdruck »Mohr« für Menschen dunkler Hautfarbe geht auf den heiligen Mauritius zurück, der als römischer Offizier einer Legion um 300 sich der Legende nach weigerte, eine gallische Revolte zu unterdrücken und eine Christenverfolgung durchzuführen und beinhaltet insofern eine eindeutig positive Konnotation und ist geradezu anti-rassistisch in jeder Hinsicht.

12.3 Die Behauptung von Alice Hasters, das englische race würde anders als das deutsche »Rasse« klar machen, »dass es sich bei Identitätsbeschreibungen nicht um eine biologische Trennung, sondern um eine soziokulturelle Unterteilung handelt«,[45] ist etymologisch schlicht und ergreifend falsch. Richtig ist, dass die Worte race und »Rasse« sich völlig entsprechen; im deutschen Sprachgebrauch vor 1933 wurde »Rasse« mitunter im Sinne von kulturellen Nationaleigenschaften verwendet. Erst der Gebrauch des Wortes durch den nationalsozialistischen Staat hat ihm einen eindeutigen Sinn beigebracht. Umgekehrt wurde das Wort race auch in den USA stark abwertend benutzt, race music für Rhythm ’n’ Blues und Jazz etwa entsprach dem deutschen »Negermusik«.

12.4 Das Verdikt von Alice Hasters, auch das Wort »Indianer« ginge nicht, ist ein Schlag ins Gesicht all der indigenen Aktivisten in Nordamerika, die bis in die jüngste Zeit genau mit dem Wort operiert haben, etwa das legendäre »American Indian Movement« (AIM). Russell Means als Kollaborateur des Rassismus? Als ich 1985 in Oslo auf einer Konferenz der »Libertarian International«, in deren Beirat Russell Means war, einen seiner Mitstreiter kennen lernte, weiß ich noch, wie ich vor Ehrfurcht kaum ein Wort über die Lippen bekam und sich dann dennoch ein sehr schönes Gespräch mit ihm entspann.

12.5 Dass Alice Hasters das Wort »indigen« dagegen hofiert, ist ebenso bemerkenswert und höchst erstaunlich. Ich benutze es ungern. Die deutsche Version lautet »eingeboren« und der »Eingeborene« ist eine sicherlich pejorativ besetzte Vokabel, die fremdsprachig zwar ihren Schrecken, nicht aber ihren Sinn verliert: Sie negiert die kulturelle Identität der mit ihr bezeichneten Personen und reduziert sie ultimativ auf eine biologische Tatsache. Meine eigene Erfahrung als eingeborener deutscher weißer Mann lautet, mit der Erbsünde des Deutsch- und des Mannseins als moralische Makel behaftet zu sein, die zwar zur Abbitte zwingen, aber niemals überwunden werden können. Diese Makel sind mir von meinen Eltern in die Wiege gelegt worden. Der Text von Alice Hasters konfrontiert mich mit den Dämonen nicht meiner Kindheit, sondern meiner Pubertät in den 1970er Jahren.

12.6 Der derzeit grassierende Obsession, die Umgangssprache bereinigen und beherrschen zu wollen, wohnen zwei Problempunkte inne. Auf den einen Punkt hat der Autor des »Unendlichen Spaß«, David Foster Wallace, hingewiesen:[46] Die Umbenennung eines benachteiligten Menschen ist eine wohlfeile Aktion, sie kostet die Herrschenden nichts, sondern beruhigt nur ihre Nerven, während sie den Benachteiligten keinerlei Vorteile bringt. Der andere Punkt ist der Versuch der Steuerung von Sprachverhalten mittels sozialer Agenturen, die mit Diskriminierung, Stigmatisierung, Zensur und Verboten vorgehen. Dies ist sogar dann abzulehnen, wenn man mit Inhalt oder Ziel der jeweiligen Maßnahme übereinstimmt. Man muss sich nur klar machen, was es bedeutet, wenn der verhasste Widersacher, etwa der »Rechtspopulist«, an die Hebel der Staatsgewalt kommt und den Spieß umkehrt: gegen dich, den »Gutmenschen«.[47] Und das ist ja keine fiktive Annahme, sondern Realität in vielen Ländern, in anderen Ländern stellt es eine reale Möglichkeit dar. Die einzige Grundlage für gesellschaftlichen Frieden stellt die Freiheit dar, zu der als oberstes Prinzip die unbedingte und bedingungslose Meinungsfreiheit zählt.

Selbst- und Fremdwahrnehmung

13.0 Einen bezeichnenden Eigenwiderspruch enthält die Selbstbezeichnung von Alice Hasters als »Schwarze Frau«, bewusst mit großem S,[48] und ihrer Ablehnung, auf die Hautfarbe »reduziert« zu werden einerseits sowie die Negierung überhaupt der Kategorie »Rasse«.[49] Durch die Großschreibung von »schwarz« wird aus der Farbbezeichnung ihrer Haut nicht irgendetwas Anderes. Zudem enthält die Selbstbezeichnung als »Frau« die Bekräftigung des geschlechtlich »binären« Denkens – Judith Butler zufolge handelt es sich hierbei um einen performativen Akt und wäre politisch unkorrekt. Nach dem Bild , das ihr Buchcover ziert, würde ich Alice Hasters definitiv als junge Frau identifizieren, eher aber nicht als »Schwarze«.

Reconquista

14.1 Da Alice Hasters auch bei kleinen und scheinbar nebensächlichen Gesten besonders kritisch hinschaut, finde ich es angemessen, sie mit dem gleichen strengen Maßstab zu messen. Als geschichtliche Linie der »Rassifizierung« folgen bei ihr nach dem antiken Griechenland die Reconquista, die Kreuzzüge und die damit einhergehende Christianisierung.[50] Sofern man Spanien nicht als typisches oder gar natürliches Siedlungsgebiet der Araber ansieht, geht der Reconquista eine islamische Aggression voraus, ganz egal, wie man sie historisch bewertet. Vorsicht bei der Unterstellung eines »zivilisierenden« Effets dieser islamischen Aggression, denn einen solchen machen Apologeten der Kolonialisierung Afrikas auch geltend. Die Kreuzzüge hingegen, soweit sie tatsächlich die Eroberung des Heiligen Landes vorsahen (was nicht alle taten) und soweit sie tatsächlich bis dorthin vorgedrungen sind, stellen christliche Aggressionen gegen islamisches Gebiet dar.

14.2 Wir finden hier also die für Alice Hasters charakteristische Vermischung von Ebenen und die Gleichsetzung von Ungleichen vor, die die rhetorische Struktur ihrer Argumentation durchzieht. Für die römische Antike gilt, dass die Römer Griechen (die wohl zu den weißen Menschen zählen, denn andernfalls wäre die positiv wie negativ vielbeschworene abendländische jüdisch-christliche Kultur Europas keine der Weißen) und Germanen als Sklaven hielten, aber nicht-weiße Menschen in höchste Staatsämter beriefen (wie den erwähnten Namenspatron des Wortes »Mohr«). Rom hatte eine ausgesprochen nicht-rassische, multi-ethnische Identität im gesamten Verlauf seiner Geschichte.[51]

Das Verhängnis der Schule

15.1 Zu Recht beklagt Alice Hasters, dass BIPoC in der Schule lernen, sie seien nichts oder jedenfalls weniger wert als Weiße. Sie erfahren sich oftmals als Versager. Sie verweist auf eine OECD-Studie, die bescheinigt, dass in Deutschland wie in keinem anderen OECD-Land die soziale Herkunft die schulische Laufbahn bestimme.[52] Sie konstatiert, Schule sei dazu da, Macht zu verteilen.[53] Genauer müsste es heißen, dass das Schulsystem dazu da ist, mit Hilfe des Berechtigungswesens den Zugang zu bestimmten Berufen zu kanalisieren, das heißt vor allem so zu beschränken, dass in begehrten Berufen die Gehälter hoch gehalten (sowie die herrschenden Meinungen, die Meinungen der Herrschenden, als Standard gesichert) werden. Sie beklagt, dass Menschen mit Migrationshintergrund (gemeint seien »für gewöhnlich BIPoC«) hätten »wenig Zugang zu institutioneller Bildung«[54] und fordert »unabhängige Antidiskriminierungsstellen für Schule – und die müssen gut finanziert und unterstützt werden«.[55]

15.2 Hier weht der Wind der Forderung nach »Chancengleichheit« aus den 1970er Jahren herüber, als sie in Westdeutschland in aller Munde war, obwohl »die Wissenschaft« in den USA bereits empirisch gezeigt hatte, dass die Schule jedenfalls nicht dazu beitragen kann, sie herzustellen.[56] Es kommt Alice Hasters offenbar nicht in den Sinn, dass Chancengleichheit per se eine Falle ist. Wenn alle die gleiche Chance haben, Bundeskanzler*in zu werden, gibt es doch nur einen Bundeskanzler und alle Anderen müssen sich ihr*m unterwerfen. Wenn zwei die gleiche Chance auf einen Job haben, so geht einer leer aus. Das Ziel muss natürlich keine Macht für Niemand und genug für alle sein und dabei hilft keine Antidiskriminierungsstelle, egal ob diese mit Schwarzen, Weißen, Gelben oder Roten besetzt ist.

15.3 Es kommt Alice Hasters offenbar nicht in den Sinn, dass es nicht darum gehen kann, BIPoC oder sonst jemanden, der unter dem von der Staatsgewalt eingerichteten Bildungswesen leidet, zu mehr und zu längerem Schulbesuch genötigt werden und dass die politischen Vertreter dieser Gruppen irgendwelchen Einfluss auf Inhalte und Methoden der Schule erhalten, sondern dass jeder sich (bzw. die Eltern für ihr Kind) die Schule oder auch eine alternative Form des Aufwachsens wählen können, die am besten passt – zum individuellen Charakter, zur eigenen Kultur, was auch immer das zentrale Anliegen sein mag. Ich habe das an anderer Stelle ausführlich dargelegt, ganz speziell zugespitzt auf die Darstellung, inwiefern die Staatsschule ein Instrument gegen die Armen ist.[57] Gerade die sozial und kulturell Diskriminierten und Ausgegrenzten sind es, die einer Entstaatlichung des Bildungswesens oder darüber hinaus sogar einer »Entschulung der Gesellschaft« (Ivan Illich) bedürfen und von ihr profitieren würden.

15.4 Ein wichtiger Faktor, warum »Alltagsrassismus« trotz des so beharrlichen Kampfes von Don Quichote gegen den Rassismus fortbesteht und in manchen Bereichen sich intensiviert, besteht in einem logischen, der aber auch empirisch zu identifizierenden Zusammenhang, der gerade von heutiger linker[58] Seite beharrlich geleugnet wird: Je gleicher die Umwelt wird, um so stärker wirken sich genetische Unterschiede aus.[59] Denn, sofern wir keine anderen Einflüsse als Umwelt und Erbe betrachten (also den Einfluss von nicht bedingter individueller Entscheidung ausklammern oder gar leugnen), würde eine völlig gleiche Umwelt bedeuten, dass es keine anderen als genetischen Unterschiede mehr gäbe. Für die Schulpolitik, aber nicht nur für sie, folgt daraus, dass die sozialtechnokratische Strategie der Staatsgewalt, alle Kinder den gleichen Bedingungen zu unterwerfen, die Ungleichheit steigert. Diversifizierung nach Maßgabe der Entscheidungen von Individuen und freiwillig gebildeten Gruppen zu ermöglichen, würde dagegen zu Gerechtigkeit (wenn auch nicht sozialtechnokratisch verstandener Gleichheit) führen.

Ideen zu einer allgemeinen Theorie des Rassismus

16.1 Eine ausgearbeitete Theorie des Rassismus würde auf zwei Säulen ruhen. Die erste Säule hätte aufzuzeigen, wie rassistische Theorien der Kaschierung von (ökonomischen) Interessen der Staatsgewalt dienten bzw. immer noch dienen (sofern sie weiterhin vertreten werden). Die rassistischen Theorien sind nicht die Ursache für den Vollzug der ökonomischen Interessen der Staatsgewalt, sondern deren Rationalisierung. Oder anders gesagt: Wenn die rassistischen Theorien verschwinden (weil sie nicht mehr en vogue sind, also nichts mehr zu kaschieren, nichts mehr zu rationalisieren vermögen, mithin als Ideologie nicht mehr taugen), verschwinden nicht die Herrschaftsinteressen, sondern diese suchen sich neue ideologische Mäntelchen.

16.2 Die zweite Säule einer ausgearbeiteten Theorie des Rassismus hätte aufzuzeigen, wie das, was ich die »infrastrukturelle Staatsgewalt« nenne,[60] den Preis auf Festhalten an Vorurteilen (allklägliche Diskriminierung) senkt sowie Menschen bestimmter Herkünfte und ethnischer Zugehörigkeiten benachteiligt. Schulpflicht und Berechtigungswesen sowie generell alle Interventionen in den freiwilligen Austausch (Markt) wirken sich stets zum Nachteil der Armen, Benachteiligten, Diskriminierten, Stigmatisierten und Schwachen aus, von denen die Ideologie sagt, sie würden von diesen Maßnahmen profitieren. Da diejenigen, die die politischen Maßnahmen gestalten, niemand anders sein können als die vielbeschworenen Mächtigen und Reichen (sonst hießen sie nicht mächtig und reich), wäre es ein Widersinn anzunehmen, sie benutzten die Staatsgewalt nicht im eigenen Interesse. Sofern sie helfen und unterstützen wollten, könnten sie das auf der Grundlage freiwilligen Austauschs auf beiden Seiten, den Gebern wie den Nehmern, tun und müssten nicht auf die Gewalt des Staats zurückgreifen: Der Gewalt des Staats bedarf nur der, der den Anderen gerade keine Wohltat erweisen, ihn vielmehr ausplündern will.

16.3 Eine Unterscheidung würde eine ausgearbeitete Theorie des Rassismus treffen zu den Komplexen Stereotypen, Vorurteilen und Xenophobie. Stereotype, Vorurteile und Xenophobie müssen, sofern sie weder der Staatsgewalt sich bedienen noch in privater Gewalttätigkeit Ausdruck sich verschaffen, ertragen (toleriert) werden, auch wenn man sie ablehnt oder verabscheuungswürdig findet. Ihnen ist mit sozialen Mitteln zu begegnen und nicht mit Mitteln der Staatsgewalt.

16.4 In den 1980er Jahren gab es die unbehagliche Diskussion in linken Kreisen, als ein Gericht entscheiden sollte, ob eine Frauenkneipe aufgrund des Antidiskriminierungs-Gebots einen männlichen Kellner einstellen müsse. Ich erinnere mich an das Entsetzen, mit welchem die Genossen Überlegung quittierten, entweder sei es rechtens, die Frauenkneipe zur Anstellung eines Mannes zu zwingen, oder es sei das Recht der feministischen Kneipe zu diskriminieren und dann sei selbstverständlich ebenso der rassistische Kneipenwirt berechtigt, keinen Schwarzen anzustellen und Schwarze nicht zu bedienen. Die feministische Kneipenwirtin sei selbstverständlich berechtigt, Männer auszuschließen, der Rassist dagegen müsse ebenso selbstverständlich an einer Diskriminierung gehindert werden. Sowohl der selektive Zwang auf eine der beiden Kneipentypen, die Diskriminierung zu beenden, als auch der Zwang auf beide, es zu tun, wäre nur mit Gewalt, nicht mit Recht zu bewerkstelligen. Vermutlich werden beide, wenn man sie in Ruhe lässt, bald merken, dass sie besser fahren, wenn sie ihren Kundenkreis nicht diskriminieren – und wenn sie das nicht merken: selber schuld. Suche einfach in die nächste Kneipe auf, wo es dir besser schmeckt.

Zu guter Letzt

17.0 Übrigens. Alice Hasters findet Jan Böhnermann nicht witzig.[61] Eine bessere Empfehlung für ihr Buch gibt es nicht.

[1] Disclaimer für humorlose Zeitgenoss*innen: Achtung, Satire. Und richtig: Wenn ich Sprache korrekt gendere, dann aus Gründen des Sarkasmus.

[2] Nur altgediente rein links sozialisierte Politikanten wie ich wissen vermutlich noch etwas mit den Kürzeln »MEW« und »FJS« anzufangen.

[3] Siehe Hasters, S. 9: »Meine Expertise [in Sachen Rassismus] rührt in erster Linie aus meiner Existenz als Schwarze Frau. Ich erzähle von Rassismus, der mir in meinem Leben begegnet ist.«

[4] Siehe Schlusspunkt.

[5] Disclaimer für …: Achtung, sarkastische Formulierung.

[6] Siehe Hasters, S. 35.

[7] Zur Funktion der Kommission hatte Pierre Bourdieu ja einiges zu sagen, bevor er zum Jäger des neoliberalen Yetis wurde. Vgl. Stefan Blankertz, Emma Goldman, Gustav Landauer, Verschwinde, Staat! Weniger Demokratie wagen (edition g. 117), S. 13ff.

[8] Hasters, S. 8.

[9] Siehe den Disclaimer vor Beginn des Textes.

[10] Hasters, S. 15. (Meine Hervorhebung.)

[11] Tupoka Ogette, zit. bei Hasters, S. 29.

[12] Hasters, S. 15. (Ihre Kursivsetzung.)

[13] Siehe Hasters, S. 17.

[14] Verwiesen sei auf den ethnopluralistischen Ansatz der Nationalrevolutionäre.

[15] Die Myanmar-Buddhisten sind in der Terminologie von Alice Hasters vermutlich ebenso wie die Rohingya Nicht-Weiße. Was bedeutet das für ihre Rassismusdefinition?

[16] Ethnopluralisten, die Nationalrevolutionäre sind, setzen Ethnie und Nation gleich, eine zumindest historisch unhaltbare Gleichsetzung.

[17] Theodor W. Adorno, Prolog zum Fernsehen (1953); ders., Eingriffe: Neun kritische Modelle, Frankfurt  /M. 1963, S. 70: »Vermutlich macht das Fernsehen [Menschen] nochmals zu dem, was sie ohnehin sind, nur noch mehr so, als sie es ohnehin sind.«

[18] Siehe Thomas DiLorenzo, The Real Lincoln, New York 2002, S. 223: »One peculiar aspect of the war against the Plains Indians is the fact that hundreds of ex-slaves joined the U.S. Army (the ›Buffalo Soldiers‹). Here were men who, just a few years earlier, had suffered the inhumanity of slavery and were now inflicting upon another colored race the ultimate inhumanity: violent death or a concentration camp existence on ›reservations‹.«

[19] Wo ich in dieser Debatte stehe, ist eindeutig. Vgl. Pädagogik mit beschränkter Haftung: Kritische Schultheorie (edition g. 105, 2013; das darin dargelegte, auf Richard Lewontin aufbauende Modell habe ich 2001 entwickelt), S. 149-194; Migration, Integration, und Wohlfahrtsstaat (edition g. 114, 2019), S. 17-35 und S. 161-170. Alice Hasters’ allzu allgemeiner Hinweis auf »Zwillingsstudien« (S. 73), die das Überwiegen  von Umwelteinflüssen bei der Intelligenzentwicklung belegen, ist wenig hilfreich angesichts der Tatsache, dass diejenigen, die ernsthaft die These eines höheren erblichen Faktors bei der Intelligenzentwicklung vertreten, sich ganz besonders auf Zwillingsstudien stützen. Es bedarf da schon einer etwas gründlicheren Argumentation.

[20] Siehe dazu auch den folgenden Punkt 7.

[21] Siehe Hasters, S. 31.

[22] Hasters, S. 16.

[23] Siehe Punkt 5.

[24] Auch die Kategorien »Frau« und »Mann« sind meines Erachtens (im Gegensatz zu Judith Butlers Ansicht) keine »performativen Akte« (die mittels Sprache herstellen, was nicht da ist), sondern heuristisch: Sie werden durch die Tatsache von Transgender-Identitäten weder erkenntnistheoretische außer Kraft gesetzt noch wahrnehmungspsychologisch sinnlos. Sowohl für hetero- wie auch für homosexuelle Menschen ist die Information über das Geschlecht des Gegenübers grundlegend. Keine sprachpolizeilische Maßnahme wird es verhindern, dass in jeder Begegnung die Frage nach dem Geschlecht des Gegenübers als eine der ersten, wenn nicht als die erste gestellt wird, ob man dem nun einen Ausdruck verleiht oder nicht. Heuristische (auf Erfahrung und Intuition gegründete) Kategorien bedürfen nicht der Ausschließlichkeit (Exklusivität, »Exhaustivität«), also dass es keine entgegenstehenden oder nicht erfassten Fälle gibt, sondern sie müssen für den Alltagsgebrauch eine hinlängliche Orientierung geben.

[25] Hasters, S. 43.

[26] Einer Studie des Centre for Equality Policy Research (CfEPR) aus dem Jahr 2012 zufolge wirkt Gingerismus (Diskriminierung von Rothaarigen) sich auf dem Arbeitsmarkt in England stärker aus als Diskriminierung ethnischer Minoritäten. (Auf diese Studie wird zwar in den Medien verschiedentlich hingewiesen, aber weder sie konnte ich ausfindig machen, noch Informationen über das CfERP erhalten.) Disclaimer 1: Dies ist ein informativer Hinweis. Er impliziert nicht, dass ich Rassismus und Gingerismus gleichsetze. Disclaimer 2: Mit dem Disclaimer 1 will ich ebenfalls nicht sagen, dass Rassismus schlimmer als Gingerismus oder Gingerismus schlimmer als Rassismus sei. Disclaimer 3: Ich glaube, jetzt reicht’s …

[27] Bei »Rock« handelt sich dann nach Edmund Husserl um ein »Anzeichen«, nicht einen »Ausdruck« (Logische Untersuchungen [1901], II.1, I. §1 & 2).

[28] Disclaimer für Blitzmerker: Diesen Begriff verwende ich hier in satirischer Absicht. Denn natürlich ist es ebenso legitim, auf die negativen Aspekte bewunderter Größen hinzuweisen, ohne auch die Größe nochmals hervorzuheben, wie sich auf ihre Größe zu beziehen, ohne ständig auch ihre negativen Seiten zu zelebrieren.

[29] Siehe Hasters, S. 54ff resp. 27.

[30] Siehe Hasters, S. 25.

[31] Hasters, S. 17.

[32] Siehe Hasters, S. 18: »Ich hatte schreckliche Angst vor Nazis. Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Mölln, die NSU-Morde, Polizeigewalt.« Dieses Zitat steht, genau gesagt, darum in der Vergangenheit, weil sie ausdrücken will, sie habe ursprünglich nur dies als Rassismus gewertet und ihre Alltagserfahrungen mit rassistischen Demütigungen nicht mit dem gleichen Begriff beschreiben wollen; doch jetzt habe sie ihre Meinung darüber geändert, das eine sei sehr wohl mit dem anderen verzahnt.

[33] Siehe Hasters, S. 31: »Wir bezeichnen alle Menschen, die nicht weiß sind, als People of Color oder, so wie in diesem Buch auch, als BIPoC – Black, Indigenous and People/Person of Color.«

[34] Hasters, S. 155.

[35] Hasters, S. 19.

[36] Siehe Punkt 11.

[37] Der Hauptfaktor ist wie stets ökonomischer Natur, nämlich dass durch die Interventionen der Staatsgewalt in die Wirtschaft deren Aufnahmefähigkeit für Migranten stark begrenzt ist, sodass viele als Mündel der Bürokratie enden, was für sie schmerzlich ist und diejenigen, empört, die von der Staatsgewalt gezwungen werden, die Bürokratie zu finanzieren. Vgl. Migration, Integration, und Wohlfahrtsstaat: Freiheit ist die Lösung und keine »Problem« (edition g. 114).

[38] Hasters, S. 9f.

[39] Siehe beispielsweise Karl Marx und Friedrich Engels, Das kommunistische Manifest (1848), MEW 4, S. 466. Karl Marx, Das Kapital I (1867), MEW23, S. 528. Zu meiner Marx-Lektüre vgl. Mit Marx gegen Marx (2014, edition g. 111), Anarchokapitalismus (2015, edition g. 110), Politik macht Ohnmacht (2017, edition g. 108) sowie Derrida liest (2018, edition g. 112).

[40] Auch Alice Hasters unterscheidet Fremdenfeindlichkeit von Rassismus (S. 97).

[41] Siehe Christian Sigrist, Regulierte Anarchie (1967), Frankfurt/M. 1979, S. 204ff.

[42] Siehe Stefan Blankertz, Widerstand (edition g. 109), S. 65ff. Kurzfassung in: Stefan Blankertz, Einladung zur Freiheit: Werkbuch libertärer Theorie und Praxis (edition g. 118), S. 87ff.

[43] Hasters, S. 67.

[44] Gemeint ist die Variante mit einem g, die mit zwei g’s war tatsächlich immer eine Verballhornung und eine böse Beleidigung, außer in ganz speziellen Zusammenhängen, in denen die Stigmatisierten sich die Worte aneignen, mit denen man sie demütigen will.

[45] Hasters, S. 31.

[46] David Forster Wallace, Autorität und amerikanischer Sprachgebrauch (2001), in: ders, Der Spaß an der Sache, Köln 2018, S. 372-446.

[47] »… White Saviorism. So heißt das, wenn weiße Menschen meinen, BIPoC retten zu müssen.« (Hasters, S. 165.)

[48] Siehe Hasters, S. 29.

[49] Siehe Hasters, S. 27, S. 31, S. 71.

[50] Hasters, S. 27.

[51] Vgl. Florence Dupont, Rom – Stadt ohne Ursprung: Gründungsmythos und römische Identität (2011), Darmstadt 2013.

[52] Hasters, S. 78.

[53] Hasters, S. 77.

[54] Hasters, S. 77.

[55] Hasters, S. 79.

[56] Disclaimer: »Die Wissenschaft« steht hier in satirischer Absicht, obwohl ich mit der Aussage »voll inhaltlich« übereinstimme. Aber natürlich war das die Aussage einiger Wissenschaftler (mit denen ich übereinstimme), während andere anderes sagten (mit dem ich nicht übereinstimme). Die Aussagen von Wissenschaftlern, mit denen man übereinstimmt, zur »der Wissenschaft« zu erklären, während man entgegenstehende Aussagen als »Leugnen (wissenschaftlicher Wahrheit)« stigmatisiert, ist eine der Pandemien unserer Zeit.

[57] … mit Verziehungsauftrag: Werkbuch kritische Schulpolitik (edition g. 119).

[58] Was als »links« (und gut) resp. »rechts« (und schlecht) gilt, ändert sich von Saison zu Saison. Es sind nach meiner Erfahrung keine geeigneten Begriffe, weder für moralisierende Spielchen noch für theoretische Erkenntnisse.

[59] Ein sowohl auf Richard Lewontin als auch Herrnstein/Murray basierender Gedanke. Die beiden Seiten vertreten entgegengesetzte Positionen zur Heritabilität der Intelligenz.

[60] Rothbard denken, edition g. 120 (erscheint demnächst).

[61] Hasters, S. 157.