Antiherrschaftlicher Widerstand ist keine Systemkategorie

Stefan Blankertz

»Antiherrschaftlicher Widerstand ist keine Systemkategorie«[1]

Niklas Luhmanns Apologie der Schule

Die Systemtheorie »führte zur Unterschätzung der ökonomischen Basisproblematik und zur Überschätzung von Kommunikationsstrategien« (Christian Sigrist).[2]

Das Erziehungssystem

Nicht bloß in der soziologischen Theoriebildung spielt die Systemtheorie in der Version von Niklas Luhmann eine prägende Rolle, sondern auch als Horizont in Beratung, Coaching und Therapie namens des systemischen Ansatzes. Inwiefern sich diese praktische Verwendung des Luhmannschen Ansatzes tatsächlich auf ihn beziehen kann, liegt allerdings weitgehend im Dunkeln. Anhand von Luhmanns »Das Erziehungssystem der Gesellschaft«, ein Buch, an dem er bis zu seinem Tod 1998 schrieb und das 2002 posthum von Dieter Lenzen herausgegeben wurde, untersuche ich die Frage, wie viel bzw. wenig seine Systemtheorie dazu beiträgt, die Institution Schule kritisch zu reflektieren und gegebenenfalls zu Prozessen der Verbesserung beizutragen. Seine andere Monographie zum Thema, »Reflexionsprobleme im Erziehungssystem«, 1979 gemeinsam mit dem Erziehungswissenschaftler Karl-Eberhard Schorr publiziert, ziehe ich nur sporadisch zu rate; warum das so ist, erkläre ich am Ende der Auseinandersetzung. Mit ihr unterziehe ich als neoliberaler Kulturmarxist die Luhmannsche Konstruktion eines Erziehungs- (Schul-) Systems einer dekonstruktivistischen Lektüre.

Was ist ein »System«?

Als »System« bezeichnet Niklas Luhmann eine Organisation, die eine gesellschaftliche Funktion (wie beispielsweise Rechtsprechung oder eben Erziehung) erfüllt, »operativ« gegen die übrige Gesellschaft abgegrenzt ist, die sie als »Umwelt« begreift, und sich intern selbst-reproduziert. Luhmann spricht von »selbst-organisiert« (wobei hiermit nicht der Begriff der Selbstorganisation aus der basisdemokratischen Bewegung gemeint ist). Ein System in diesem Luhmannschen Sinne ist »autonom« (auch das meint weder den politischen noch den psychologischen Begriff der Autonomie). »Ausdifferenzierung heißt Systemautonomie und Systemautonomie heißt Notwendigkeit von Selbstorganisation.«[3]

Dass es bei »Erziehungssystem« nach Luhmann ausschließlich um schulische (unter Einschluss universitärer) Erziehung gehen kann, wird hieraus bereits klar: Die Erziehung, die in der Familie oder in anderen Organisationen, die sich unter anderem auch mit Kindern oder Jugendlichen befassen (etwa Betriebe, die Lehrlinge ausbilden), geschieht »beiläufig«, wie Paul Goodman das nannte,[4] und nicht als organisatorisch ausdifferenziertes System mit einem professionalisierten Personal.

Was ist »Staat«?

Was bei Luhmann kaum und an keiner Stelle kritisch reflektiert wird, ist Staatsgewalt. Da in meiner Auseinandersetzung mit Luhmann die Staatsgewalt und ihre Wirkung auf das Erziehungssystem die wesentliche Rolle spielt, skizziere ich vorab, was ich mit »Staat« meine. Drei Punkte sind zu berücksichtigen:

  1. Mindestbedingung dafür, dass von »Staat« gesprochen werden kann, ist, dass es einen »Erzwingungsstab« (Christian Sigrist) gibt: Einer Person oder einer Gruppe von Personen (Organisation) steht eine Polizei für Verfügung, die ihre Entscheidungen gegebenenfalls gegen Widerstand mit Gewalt durchsetzt. Der Erzwingungsstab hat die Tendenz, ein territoriales Monopol auf legitime Ausübung von Gewalt zu beanspruchen.[5]
  2. Zur entwickelten Staatlichkeit gehören alle Organisationen, die vom Gewaltmonopol abhängen, insbesondere von dessen Fähigkeit, Steuern zu erheben und diese als finanzielle Ressourcen politisch zu verteilen.[6]
  3. Private Organisationen, die a) durch Zwangsmitgliedschaft gekennzeichnet sind, b) staatlicher Zulassung bedürfen sowie c) vollständig oder teilweise aus Steuergeldern finanziert werden, bilden mit dem Staat eine korporatistische Struktur (in Deutschland z.B. Krankenkassen, berufsständische Kammern, Privatschulen im Pflichtschulbereich).[7]

Die organisatorische Einheit des Staats stiftet (strukturelle) Gewalt. Zu keinem historischen oder aktuellen Zeitpunkt lässt der Staat sich als »Übereinkunft« charakterisieren. Jede Übereinkunft wäre auflösbar. Da der Staat kein System im Sinne Luhmanns darstellt, kann er ihn nicht reflektieren, obwohl er mit seinen Möglichkeiten als Gewalt- und Rechtsmonopol bei Luhmann ständig in unreflektierter Form präsent ist, wie wir auch anhand seiner Analyse des Erziehungssystems sehen werden.

»Macht« als Terra incognita bei Luhmann[8]

Das Thema der »Macht« neutralisiert Niklas Luhmann in einer bezeichnenden Weise. Es kommt in »Das Erziehungssystem der Gesellschaft« nur einmal ausdrücklich vor und zwar im Zusammenhang von Luhmanns Abwehr der Kritik an Lehrern, sie würden mit der Vergabe von Zensuren oder Entscheidungen über die Versetzung »Macht oder gar ›Gewalt‹« ausüben.[9] Luhmann hält das für einen »irreführenden« Gebrauch des Begriffs, weil der Lehrer »gar nicht frei« wäre, »die Herstellung solcher Fakten [Zensurenvergabe und Versetzungsentscheidung] zu vermeiden« und schlägt vor, von »Macht« nur dann zu sprechen, »wenn mit negativen Sanktionen (hier: schlechten Zensuren) gedroht wird, um ein damit nicht zusammenhängendes Verhalten zu motivieren«; Luhmann gibt als Beispiel: »Der Lehrer kann nicht mit schlechten Zensuren drohen für den Fall, daß ein Schüler ihm nicht in bestimmten außerschulischen Dingen behilflich ist, etwa Rasen mäht oder die Straße fegt.«[10] Ein paar Seiten später behauptet er, man könne Zensuren »nicht aus pädagogischen Gründen anheben oder absenken je nach dem, was man sich davon als erzieherischen Effekt verspricht«.[11] Will Luhmann sagen, kein Lehrer dürfe das tun? Denn können kann er das zweifellos; und oft genug geschieht dies auch. Wie dem auch sei, Zensuren unter dem Gesichtspunkt der erwarteten Motivationswirkung zu geben, ist unter Lehrern erstens verbreitet, zweiten wird es durch die erziehungswissenschaftliche Seite befürwortet und drittens von Eltern und Schülern erwartet (»wenn jemand sich bemüht, soll das belohnt werden«).

Dass der Lehrer, so ihm das Erziehungssystem zum Beispiel die Entscheidung über Versetzung eines Kindes abverlangt, diese nicht verweigern darf, deutet an, dass er selber Gegenstand von Machteinwirkung ist. Er vermittelt die Macht und übt sie stellvertretend für das System gegenüber dem Schüler aus. Und selbstredend kann der Lehrer im Einzelfall durchaus entscheiden, ob der Schüler versetzt wird oder nicht, sonst wäre es keine Entscheidung. Im Einzelfall kann er die Entscheidung sogar verweigern; falls er seine Selektionsfunktion aber grundsätzlich verweigern würde, würde er selber Schwierigkeiten im System kriegen: Sein Verhalten würde als Widerstand gewertet. Das heißt, der Lehrer übt Macht aus, und zwar in jedem einzelnen Fall von Versetzungsentscheidung sowie allgemein, weil er keinen Widerstand ausübt.

Luhmanns Einschränkung von »politisch kontrollbedürftigem Gebrauch von Macht«[12] auf einen außerschulischen Bereich ist ebenso problematisch. Wenn beispielsweise der Lehrer im Nationalsozialismus dem Schüler, der die Rassenlehre nicht lernt oder gar Einwände formuliert, mit einer schlechten Zensur droht, wäre das laut Luhmann keine Machtausübung. Zudem scheint Luhmann hier davon auszugehen, dass Macht politisch kontrolliert werden solle und könne, während die Politik es doch ist, die sie primär ausübt. Ein aktuelles Beispiel ist die um sich greifende Praxis, teils schon von Prüfungsordnungen verlangt und abgesegnet, bei nicht vorschriftsmäßig gegenderten Examensarbeiten eine Herabstufung der Zensur vorzunehmen.

Dass die Politik selber die Macht ausübt, scheint Luhmann niemals in den Sinn zu kommen. Autonomie sei mit »rechtlichen Regulierungen und finanziellen Abhängigkeiten durchaus vereinbar«, schreibt Luhmann, »solange diese nicht als Machtquelle benutzt werden, um pädagogische Absichten zu unterdrücken und durch etwas anderes zu ersetzen.«[13] Alle rechtlichen Regulierungen und finanziellen Abhängigkeiten wirken jedoch auf das konkrete Geschehen im Unterricht und auf das Verhältnis von Lehrern zu Schülern, wie ich zeigen werde. Darüber hinaus ist auch die politische Verfügung über das, was vermittelt wird, evident, in Diktaturen sowieso, in westlichen Demokratien zunehmend auch; die Frage lautet eher, ob dies jemals in der Geschichte anders war: Die politische Verfügung über die zu lehrenden Inhalte und die zum Lehren der Inhalte einzusetzenden Methoden hat für die meisten modernen Staatsformen höchste Priorität.

Das Erziehungssystem seinerseits, schreibt Luhmann, könne »keine kollektiv bindenden Entscheidungen treffen«.[14] Sehr richtig; wenn es das könnte, müsste es mit eigenherrlicher »Rechtshoheit«, mithin Staatsgewalt ausgestattet sein. Dass aber, insoweit das Erziehungssystem sich an die Staatsgewalt wendet, um kollektiv bindende Entscheidungen (Luhmann nennt als Beispiele Lehrpläne, Prüfungsordnungen, Verteilung von Zeit auf Fächer) herbeizuführen, es entweder Macht hat oder nicht autonom ist, blendet er schlechthin aus. Zudem blendet er aus, dass »das Erziehungssystem« keine einheitliche Vorstellung von den herbeizuführenden kollektiv bindenden Entscheidungen hat. Konflikt kommt bei ihm wie Widerstand aber gar nicht vor.

Luhmanns Verdrängung der Frage nach den Wirkungen von politisch organisierter Macht und Gewalt, also von Herrschaft, auf das Erziehungssystem und auf die Mikrostruktur des Verhältnisses zwischen Lehrern, Schülern und Eltern zeige ich an drei Themenkomplexen auf,

  1. Schulpflicht,
  2. Berechtigungswesen und
  3. Schulorganisation.
  1. Schulpflicht: Inklusion als Ideologie

Niklas Luhmann erwähnt die Schulpflicht unter ferner liefen, als spiele sie keine oder eine nur untergeordnete Rolle im Erziehungssystem. Schulpflicht gehört, so scheint es bei ihm,  zu den politisch-rechtlich gesetzten Umweltbedingungen für dies System. Ihr Ziel ist, wie Luhmann meint, die »Inklusion«, manchmal spricht er auch einfach von »Integration«,[15]  d.h. sie sei eins jener Mittel, mit welchem der neuzeitliche Staat, der die Standesgesellschaft überwunden habe, die Teilhabe Aller sicherstelle; in diesem Falle dadurch, dass das für erfolgreiche Teilhabe am sozialen und wirtschaftlichen Leben notwendige Maß an Wissen nach Möglichkeit Allen zur Verfügung steht (»Wissen«[16] fasst Luhmann derart weit, dass hierunter auch etwa moralische Regeln fallen). Diese Funktion der Schulpflicht mag zwar einer Forderung von Pädagogen oder Erziehungswissenschaftlern entsprechen, aber sie können diese Forderung – wie Luhmann hellsichtig bestätigt – nur qua eines anderen als des Erziehungssystems durchsetzen, nämlich des politisch-rechtlichen Systems. Das bereits schränkt die Autonomie des Erziehungssystems ein.

Drei Fragen lässt Luhmann im Zusammenhang mit der Schulpflicht ausdrücklich nicht zu, nämlich ob die Schulpflicht

1) das Ziel der Inklusion erreicht,

2) nicht ganz andere Ziele als Inklusion verfolgt und

3) moralisch gerechtfertigt ist.

Ein Zweifel etwa über das Ziel der Inklusion kommt auf, wenn wir bedenken, dass die Idee der Schulpflicht während der Reformation im Kampf gegen den Katholizismus entstand. Ein zweites historisches Beispiel dafür, dass Inklusion nicht Ziel der Schulpflicht ist: Als in dem Staatenbund Nordamerikas 1787-90 mit der Verfassung der Zentralstaat USA gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung durchgepeitscht wurde, machten die neuen Herrschenden sich Sorgen, wie ihren frisch gebackenen Untertanen die »angemessene Unterwerfung« (proper subordination) beizubiegen sei und stießen als probates Mittel auf die staatliche Zwangsschule.[17] Dies kann man zwar als »Inklusion« beschreiben (denn Alle sollen gefestigte gläubige Protestanten resp. US-Nationalisten werden), aber nur im Sinne des Strebens nach ideologischer Hegemonie (Antonio Gramsci) und nach Exklusion der Katholiken resp. der Liberalen.[18] Nicht Inklusion sieht Pierre Bourdieu als Funktion des Schulsystems, sondern »die Kinder der benachteiligten Schichten zu entfernen«.[19] Das bloße Zitat, Bourdieu sei anderer Meinung wie Luhmann, beweist natürlich nicht, wer von beiden Recht hat. Es geht mir mit dem Zitat nur darum, die Selbstverständlichkeit zu erschüttern, mit der Luhmann die soziologisch naive Erzählung pädagogischen Gutmenschentums von der integrativen Absicht (oder gar Wirkung) der Schule als Faktum hinstellt.

Schließlich tut Luhmann so, als würde die Schulpflicht nicht auf das Verhältnis von Schülern, Eltern und Lehrern wirken. Die Annahme, die Schulpflicht spiele im Binnenverhältnis der Schule keine Rolle, bedürfte einer Untermauerung, die man bei Luhmann vergeblich sucht.

Luhmann schreibt, die Schule würden zwar etwas produzieren (ausgebildete Personen, Diplome, Zensuren), es gäbe jedoch »kein Rückmeldung des gesellschaftlichen (oder auch nur: marktmäßigen) Erfolgs dieser Produkte, so daß die Organisationen [gemeint sind: Schulen] aus ihrem Ausstoß keine Informationen gewinnen können«.[20] Die Zensuren- oder Prüfungsergebnisse lässt er als solche Rückmeldung nicht zu, da er schlechte Zensuren oder hohe Durchfallquoten nicht als Versagen der Schule oder des Lehrers rechnet. Eine pädagogische Forderung der Art, alle Schüler nach Möglichkeit zum Erfolg zu führen, hält er für kontraproduktiv oder wenigstens undurchführbar, obwohl er weiß, dass viele Pädagogen und Erziehungswissenschaftler genau dies fordern; diesen Aspekt diskutiere ich im Abschnitt über das Berechtigungswesen. Im Kontext der Schulpflicht ist ein anderer Aspekt wichtig. Unter der Bedingung, dass eine Inanspruchnahme einer Leistung nicht verpflichtend ist, besteht der ultimative Test ihrer Qualität in der Nachfrage.[21] Insoweit die »Leistung« aufoktroyiert ist, fällt dieser Test natürlich weg und es fehlt das Korrektiv.

Im Licht dieser Erkenntnis ist auch Luhmanns Behauptung zu werten, eine relativ große Versagerquote gehöre notwendig zum Erziehungssystem. Denn bei einer freiwilligen Nachfrage können wir sicher sein, dass es keine Nachfrage nach Erziehung geben würde, die regelmäßig die ausgelobten Ziele nicht erreicht. Luhmann weiß das. Für Selektion gebe es keinen Konsens (also kein Zustimmung durch die ausselektierten Schüler und deren Eltern), schreibt er.[22] Für ihn ist das ein Argument zur Rechtfertigung des Zwangscharakters der Schule. Aber das Erziehungssystem kann diesen – angeblich sowohl gesellschaftlich als auch pädagogisch notwendigen – Zwangscharakter nicht aus sich heraus, mithin systemautonom generieren, sondern bedarf hierzu der Staatsgewalt mit ihrem Erzwingungsstab. Die Pädagogen, die gegen die hohen Versagerquoten ankämpfen, sind zumeist vehemente Gegner des Marktes und Befürworter von Staatsgewalt; sie sollten stattdessen aber den Markt befürworten und die Staatsgewalt ablehnen, sofern sie ihr Ziel ernst meinen. Wenn wir nicht naiv davon ausgehen, dass es, wie Pädagogen der frühen Neuzeit versprachen, möglich sei, Allen Alles beizubringen, hieße die Bedingung der Freiwilligkeit: Organisationen der Erziehung würden eher durch Aufnahmeprüfungen[23] oder andere geeignete Maßnahmen der Selektion bei Annahme eines Schülers dafür sorgen, dass nach Möglichkeit niemand den entsprechenden Bildungsgang einschlägt, bei dem er am Ende vielleicht durchfallen könnte. Das Durchfallen und Versagen bliebe eine unerfreuliche und für alle Beteiligten unerwünschte Seltenheit. Betriebliche Ausbildungen stehen oft unter der Maßgabe, dass alle Lehrlinge bestehen sollen. Private Einrichtungen, seien es Musik- oder Fahrschulen oder Nachhilfeinstitute, tun alles dafür, dass ihre Teilnehmer Erfolg haben; Scheitern wäre schlechte Reklame. Die Selektion bei Aufnahme hätte gegenüber dem Erziehungssystem, das sich weltweit qua Staatsgewalt durchgesetzt hat, auch für die vorab Abgelehnten den großen Vorteil, dass sie etwas Anderes probieren können. Im herrschenden Erziehungssystem müssen sie aufgrund der Schulpflicht ihre Zeit und Energie in eventuell für sie aussichtslose Unterfangen investieren und überdies die demütigende Erfahrung von Versagen über sich ergehen lassen. Das ist das Gegenteil von Inklusion, das ist Exklusion.

Beim Thema Schulpflicht suggeriert Luhmann wie bei allen anderen wichtigen Fragen, dass der historisch konsolidierte Weg folgerichtig und notwendig (das Modewort heute lautet: »alternativlos«) sei. Eine Diskussion von Alternativen kommt so wenig vor wie eine Darstellung des Verfahrens der Durchsetzung. Luhmann wiederholt, was Generationen von Pädagogen und Erziehungswissenschaftler gebetsmühlenartig vorgebracht haben: Widerstand gegen die Schulpflicht komme von rückständigen Bauern, die ihre Kinder ausbeuten wollen, und ihren politischen Vertretern, die ihnen bei der Ausbeutung zur Seite stehen. Ohne Schulpflicht werde es bösen Eltern erlaubt, ihren Kindern die für die »Inklusion« und die für gute Karrieren notwendige Schulbildung zu versagen. Selbstorganisierte Alternativen zur staatlichen Zwangsschule werden von inkompetenten Eltern für ihre Kinder ausgesucht und von übelwollendem Personal betrieben. All diese Behauptungen halten einer historischen und aktuellen Betrachtung nicht stand.[24]

Es ist evident, dass die extern dem Erziehungssystem auferlegte Schulpflicht, anders als Luhmann suggeriert, stark in die Beziehung zwischen Lehrern, Schülern und Eltern eingreift. Sie determiniert die Beziehungen nicht, aber beeinflusst sie (eine solche Unterscheidung kann Luhmann anscheinend nicht treffen, nichtmal verstehen). Durch die Schulpflicht werden Schüler zur Anwesenheit gezwungen, die dort nicht sein wollen oder die für die dort gebotene Art der Lehre ungeeignet sind. Sofern dies nicht der Fall wäre, bräuchte es keine Schulpflicht. Der Zwang heißt für diese Schüler zumindest, ihre Zeit zu verschwenden; außerdem werden sie, falls sie tatsächlich versagen, als Versager stigmatisiert und entwickeln eventuell ein Selbstbild des Versagers. Der zum Schulbesuch gezwungene Schüler kann den Zwang mit Introversion beantworten und wird damit »nur« selber geschädigt, während die Umwelt – Lehrer und Mitschüler – davon kaum etwas mitkriegen. Oder er kann zum Störer werden und schädigt somit die interessierten Mitschüler sowie den Lehrer. Auf jeden Fall erhalten die interessierten Mitschüler vom Lehrer geringere Aufmerksamkeit und weniger Fachwissen, als sie ohne die Anwesenheit von widerborstigen Schülern erhalten könnten. Die Folgen sind eine vergiftete Atmosphäre, Vergeudung von Lebenszeit und psychische Störung. »Das Erziehungssystem bleibt auf der operativen Ebene des Unterricht ohnehin autonom«,[25] schreibt Luhmann: Aber der Unterricht wird durch die Staatsgewalt beeinflusst.

  1. Berechtigungswesen: Qualität als Ideologie

Dem Berechtigungswesen widmet Luhmann etwas mehr Raum als der Schulpflicht, und zwar als einem Teilbereich der Selektion, die Luhmann für das Erziehungssystem als wesentlich erklärt. Damit behauptet er, die Verleihung der Berechtigung sei etwas, das aus dem Erziehungssystem selber erwüchse. Aber bei genauem Hinschauen weiß er es besser. Höhnisch merkt er an, die Berechtigung verleihe ja gar kein Recht auf einen bestimmten Job.[26] Richtig. Sie verleiht kein Anrecht. Aber doch, wie der Begriff eindeutig sagt, eine Berechtigung, d.h. eine Erlaubnis, die Vorbedingung ist, bestimmte Jobs ausführen zu dürfen. Diese Vorbedingung definiert nicht das Erziehungssystem, sondern der Staat (oder mit dem Staat verbundene korporatistische Organisationen wie die berufsständischen Kammern).

In einer unscheinbaren, harmlos klingenden Bemerkung sagt Luhmann, der Patient »möchte sich darauf verlassen können, daß der Arzt als Arzt ausgebildet« sei.[27] Doch eingehender analysiert erweist diese Bemerkung sich als das, was Paul Goodman die Propaganda der »Schulmönch« nannte.[28] Der Patient erwartet einen Arzt, der ihn kompetent behandelt. Ob ein Schulbesuch plus universitäre Ausbildung dafür geeignet ist und die Kompetenz garantiert, ist nicht gesagt. Schnell zeigt sich, dass Zweifel angebracht sind. Die Selektion für die universitäre Arztausbildung läuft in der BRD seit Jahrzehnten über den Numerus Clausus. Dass jemand, der im Abitur einen Zensurendurchschnitt von 1.0 hat, geeigneter sei als jemand, der »nur« 1.1 nachweisen kann, wird niemand im Ernst argumentieren.

Weiter: Der erforderliche Zensurendurchschnitt, um den Numerus Clausus für ein Medizinstudium zu knacken, errechnet sich nach den (von der Staatsgewalt eingerichteten) Studienplätzen in Relation zur Bewerberzahl, d.h. in einem Jahr kann 1.1 genügen, in einem anderen nicht. Das lässt jede Möglichkeit einer fachlichen Rationalität auf 0 sinken. Zudem fließen in den Zensurendurchschnitt Kurse mit ein, die niemand ernsthaft als relevant für ein gutes Arztsein deklarieren kann. Die Zahl der Studienplätze wiederum bestimmt sich nach dem durch die (korporatistischen) Krankenkassen festgelegten »Bedarf« an neu zuzulassenden Ärzten.

Mehr Ärzte, als die Krankenkassen zulassen möchten, würden (unter der Bedingung von Freiwilligkeit) bessere Versorgung der Patienten, aber geringere Einkommen je Arzt bedeuten. Die Regelung des Zugangs ist also eine Funktion von berufsständischer Politik, die nicht, aber auch gar nichts mit Erziehung sowie nichts, aber auch gar nichts mit dem Interesse der Patienten zu tun hat. Selektion steht nicht für Sicherung der Qualität und Schutz des Patienten, und sie ergibt sich nicht folgerichtig aus dem Prozess der Erziehung, sondern aus dem Prozess der Politik im Rahmen von Staatsgewalt.

Sobald mehr »Berechtigungen« ausgegeben werden, als die Planwirtschaft der Staatsgewalt Stellen vorsieht, entsteht ein Legitimationsproblem; denn, wie Luhmann verquast schreibt, es gibt eine Erwartung der Zertifikat-Inhaber auf »angemessene« oder »erwartungsgemäße« Jobs[29] – »angemessen« definiert nach Maßgabe des staatlichen Berechtigungswesens. Und sollte die Situation eintreten, dass mehr Berechtigungen vergeben wurden, als entsprechende Jobs vorhanden sind, da hat Luhmann ganz recht, wird ein anderer Selektionsmechanismus eingesetzt.[30] Insofern ist Selektion faktisch unvermeidlich, aber nur systemimmanent. Das Problem mit Luhmann lautet, dass es ihm zufolge nichts anderes gibt als Systemimmanenz. Das Legitimationsproblem für das politische System ergibt sich daraus, dass die Berechtigung von denen, die sie erlangen, doch irgendwie auch als ein Anrecht begriffen wird. »Mehr und mehr Zertifikate gelten als förderlich«,[31] schreibt Luhmann, als sei dies ein quasi-naturwüchsiger Prozess, der nicht durch das Handeln der Staatsgewalt gesteuert wurde. Auch hier weiß er es freilich besser, denn dass es um die Durchsetzung von »Standards« geht, hatte er ja durch die Bemerkung zu den Erwartungen der Patienten an die Ärzten bereits zugegeben, wenn auch indirekt.

Das Berechtigungswesen wirkt sich natürlich auf den Unterricht aus. Nicht das Interesse am Fach oder am Erwerb von Wissen oder Kompetenz steht im Vordergrund, sondern das Interesse am Erwerb des Zertifikats (des Berechtigungsscheins). Wie bei der Schulpflicht handelt es sich Luhmann zufolge um eine systemimmanente Notwendigkeit, denn »wie stark könnte die Motivation [für Schulbesuch und Engagement im Unterricht] sein, wenn man allein auf das Interesse am Thema angewiesen wäre?«[32] Die extrinsische Motivation führt wie die Schulpflicht zu einem wenn nicht erzwungenen, so doch möglicherweise ungeliebten Schulbesuch über die Zeit der Schulpflicht hinaus. Falls der Erwerb des Zertifikats verlangt, dass mit dem erstrebten Beruf unzusammenhängende Fächer gelernt werden, folgt daraus fast die gleiche Problemlage wie bei der Schulpflicht. Nur dass hier das Interesse am Erwerb des Zertifikats disziplinierend wirkt: Der Lehrer kann dem angehenden Sinologen mit schlechter Zensur drohen, wenn er in Mathematik nicht ein Mindestmaß an Engagement zeigt – und die schlechte Zensur gefährdet eventuell das erstrebte Zertifikat. Das ist klarerweise entgegen dem von Luhmann Behaupteten eine Ausübung von Macht. Umgekehrt kann der Lehrer für Mathematik bei dem angehenden Sinologen ein Auge zudrücken (eventuell in einem Deal, dass er wenigstens nicht »stört«), was den Lehrer jedoch in Erklärungsnot den anderen Schülern gegenüber bringt, die er strenger beurteilt. Letztlich ist der gutmütige Lehrer hier der Dumme.

  1. Schulorganisation: Einheitlichkeit als Ideologie

Dass das Schulsystem[33] weitgehend über Steuern finanziert wird, hat eine nicht-triviale Auswirkung auf die Binnenstruktur (d.h. auf den Unterricht), die Luhmann entgeht: Es kann sich problemlos von den Wünschen der – wohlgemerkt teilweise unfreiwilligen – »Nutzer« (Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Eltern) entfernen. Andererseits ist die von Pädagogen und Erziehungswissenschaftlern ständig wiederholte Behauptung, ohne oder vor der Einführung steuerfinanzierter scheinkostenloser Unterrichtsangebote sei Bildung für breite – oder pauschal für »ärmer« erklärte – Bevölkerungsteile unerreichbar gewesen, ohne historische Grundlage;[34] aber auch bei Luhmann findet sich nicht der Hauch einer kritische Rückfrage an dieser Erzählung. Besonders für die Verhältnisse in Preußen ist das eine gesichtsvergessene Unterlassung. Das preußische Einheitsschulsystem, das Wilhelm von Humboldt installierte, war staatlich organisiert, wurde teils durch Schulpflicht, teils durch Berechtigungswesen mit Nachfragern versorgt, musste aber von den Nutzern selber bezahlt werden. Humboldt hatte sich übrigens hierbei etwas kluges gedacht, denn in einer an Lenin erinnernden Dialektik wollte er, dass nach der Zwangszentralisierung, das heißt nach der Entmachtung der Partikulareinflüsse auf das Schulsystem, dasselbe wieder in die »Hände der Nation« zurückgegeben, also entstaatlicht werde. Diese Seite von Humboldt fehlt bei Luhmann, was nun nicht mehr verwundert. Auch heute entstehen überall dort, wo die Infrastruktur der Staatsgewalt noch keine Schulen einrichtet, wo Kriege den staatlich geregelten Betrieb von Staatsschulen verhindert oder wo die nationalstaatlichen, von internationalen Hilfsorganisationen mitfinanzierten und mitgeplanten Angebote den Armen nicht helfen und nicht gefallen, sofort dichte Netze von nicht-staatlichen Einrichtungen.[35]

Dem Bashing der historischen wie der aktuellen nicht-staatlichen Alternativen zur Schule auch und gerade für »die Armen« kann mit drei Frage begegnet werden:

  1. Falls die nicht-staatlichen Einrichtungen so schlecht sind, wie behauptet, warum reicht es nicht, dass der Staat die angeblich besseren Angebote macht?
  2. Warum müssen die nicht-staatlichen Einrichtungen verboten werden?
  3. Warum wählen die Eltern diese Einrichtungen und sind bereit, für sie zu zahlen, trotz des Vorhandenseins von kostenfreien staatlichen Angeboten?[36]

Diese Fragen führen dazu, zu realisieren, dass bei dem Thema »Inklusion« oder »Integration« zwei grundsätzlich verschiedene Formen im Widerstreit miteinander liegen. Die eine Form der Inklusion verlangt, dass für die Teilhabe von Allen an der Gesellschaft Alle den gleichen Bedingungen unterworfen sein mögen; die andere Form versteht unter Inklusion, dass jeder das gleiche Anrecht darauf habe, sich selbst zu bestimmen. Bezüglich des Themas der Chancengleichheit statuiert Luhmann, es sei nicht möglich, offenbar Ungleiches (die Kinder mit ihren unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen) gleich zu behandeln.[37] Aber dennoch lässt er nicht zu, an eine alternativen Organisation des Schulsystems auch nur zu denken: Alle »müssen« dem gleichen Schulsystem unterliegen.

Was Luhmann allerdings realisiert, ist, dass wesentliche Elemente auch der internen Organisation der Schule vom politisch-rechtlichen System vorgegeben werden, so etwa die Jahrgangsklassen oder die Lehrpläne. Selbst wenn (einige) Pädagogen und Erziehungswissenschaftler diese organisatorischen Rahmenbedingungen als richtig benennen, macht nur Staatsgewalt sie allgemeinverbindlich. Luhmann bestreitet, dass dies die Autonomie der Schule beeinträchtige. Er hat dafür zwei Strategien. Entweder behauptet er, der in Frage stehende organisatorische Rahmen habe keine Auswirkung auf das Unterrichtsgeschehen, oder er sei alternativlos. Beides ist falsch.

Beginnen wir mit der Jahrgangsklasse. Dass es keinen Unterschied für Lehrer und Schüler bedeute, ob die Zusammensetzung der Klasse altershomogen ist oder nicht, kann nicht sein. Denn falls es keinen Unterschied bedeutet, würde niemand auf die Idee kommen, es so und nicht anders zu machen. In der Phase der Herausbildung des modernen Schulsystems gab es tatsächlich beispielsweise die Alternative der sogenannten Lancaster-Methode, nach der der Lehrer den fortgeschrittenen Schülern etwas beibringt, was diese dann an die weniger fortgeschrittenen Schülern weitergeben. Für diese Methode war Altershomogenität keine Voraussetzung, sondern die Einstufung der aktuellen Fähigkeiten eines Schülers. Eine Einstufung laut aktueller Fähigkeit statt Altershomogenität wird auch heute noch selbstverständlich beispielsweise in Sprachschulen als Kriterium gewählt. In Dorfschulen blieb das System lange unterhalb des Radars der Erziehungswissenschaft pragmatische Gepflogenheit. Es war eine politische Entscheidung, angeheizt durch ignorante, auf das Milieu der großstädtischen Mittelschicht fixierten »linken« Erziehungswissenschaftlern, diese Schulen zu eliminieren und die Kinder zu nötigen, zentral eingerichtete Großschulen zu besuchen, sodass man genügend viele Schüler zusammen brachte, um altershomogene Klassen bilden zu können. Und natürlich macht es einen Unterschied, ob ein Kind die einklassige Dorfschule mit dem ortsansässigen Lehrer besucht, wo es auf die anderen Kinder aus dem Dorf trifft, oder ob es in eine anonyme, aber eventuell intellektuell anregendere Umgebung der nächstgrößeren Stadt kommt. Damit ist nicht gesagt, das eine sei besser als das andere. Es gibt Kinder, für die das eine besser ist, für andere Kinder ist das andere besser. Die Lösung, keine Organisationsform für alle zu erzwingen, liegt freilich außerhalb der Denkmöglichkeiten von Luhmann. Das Erziehungssystem sei, schreibt Luhmann, »angewiesen« darauf, dass die Staatsgewalt an seiner statt »kollektiv bindende Entscheidungen« etwa über »Lehrpläne, Prüfungsordnungen, Verteilung von Zeit auf Fächer« treffe.[38] Warum Einheitlichkeit auf diesen Gebieten notwendig sei, darüber verliert Luhmann kein Wort.

Zurück zur Lancaster-Methode. Sie ist pädagogisch in Verruf geraten, aber aus fadenscheinigen Gründen. Denn das, was man den nach der Lancaster-Methode vorgehenden Schulen vorwarf, traf auch auf die meisten anderen damaligen Schulen zu: seien das schlecht ausgebildete Lehrkräfte, sei das die Prügelstrafe. Die Lancaster-Methode zeichnete aus, dass sie mit wenigen Lehrkräften auskam, und hier finden wir ein ökonomischen Interesse des Berufstands der Lehrer, gegen diese Methode Sturm zu laufen. Umgekehrt kann man davon ausgehen, dass die von vielen Pädagogen bis  weit ins 19. Jahrhundert hinein favorisierten Hauslehrer auch[39] darum gegen den Schulunterricht verloren haben, weil eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Bildung – statt sie nur einer Elite vorzubehalten – in diesem Verfahren im Rahmen der bürokratischen Organisation ökonomisch nicht zu stemmen gewesen wäre. Somit wäre dann der Schulunterricht ein ökonomischer Kompromiss und keine aus dem Erziehungssystem »autonom« erwachsene Einrichtung. Lancasters Methode erlebte eine Renaissance Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre bei der privaten Initiative von Marva Collins in den USA, junge schwarze Erwachsene, die trotz erzwungenem Durchlaufen der Schulpflicht Analphabeten geblieben sind, die Kulturtechniken beizubringen.[40] Als eine weitere Alternative zum starren Verfahren altershomogener Schülergruppen und zur strikten Trennung von Lehrer- und Schülerrolle sei auf Paulo Freire hingewiesen. Bei Johann Heinrich Pestalozzi, später widersinnig zum Schutzheiligen der Grundschulleser geworden, war in seinem berühmten Waisenhaus von Stans Altershomogenität keine Frage.

Letztlich, schreibt Luhmann, dürften es »nicht pädagogische, sondern organisatorische Gründe gewesen sein, die im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Festlegung auf das Jahrgangsklassenprinzip geführt haben. Es ist im Massenbetrieb der modernen Schule einfacher zu handhaben.«[41] Aber muss »Massenbetrieb der modernen Schule« überhaupt sein? Kleinere Einheiten, schreibt Luhmann, »dürften angesichts des Aufwandes an Personal und Zeit sehr rasch unrationell werden.«[42] Angesichts des überbordenden organisatorischen Overheads des Massenbetriebs der modernen Schule wäre es bei gleichen Ausgaben durchaus möglich, sehr kleine, selbstbestimmte Einheiten zuzulassen (das war das Argument von Paul Goodman und der Free-School-Bewegung in den 1960er Jahren). An einer anderen Stelle schreibt Luhmann, durch die Organisation »muß […] sichergestellt werden, daß die Schulklassen annährend gleiche Vorbildung und annähernd gleiches Alter garantieren«.[43] Was denn nun? Sind Jahrgangsklassen organisatorisch leichter zu handhaben oder haben sie einen anderen rationalen Grund? Ganz abgesehen davon, dass die beiden Kriterien »gleiches Alter« und »gleiche Vorbildung« kaum in Übereinstimmung miteinander zu bringen sind.

Dass erzwungener Schulbesuch eine starke Auswirkung auf das Unterrichtsgeschehen hat, ist oben bereits besprochen. Alternative Organisationsformen gehen auf Leo Tolstoi, A.S. Neill und George Dennison zurück, bei denen Schüler von Fall und Fall entscheiden, am Unterricht teilzunehmen. Wo eine kontinuierliche Teilnahme für Mitschüler oder Lehrer wünschenswert ist, wird diese zwischen den Beteiligten und ausschließlich zwischen ihnen abgesprochen. Luhmann schreibt, dass dies nicht möglich sei.[44] Das Gegenteil ist der Fall.

Luhmanns fragwürdige Vorgehen, das faktische auch für das einzig vernünftige zu erklären, ist gut an der angeblichen Alternativlosigkeit der organisatorisch dem Zufall überlassenen Zuteilung eines Lehrer zur Klasse der Schüler aufzuzeigen.[45] Diese Zuteilung ist so tief im Schulsystem verwurzelt, dass sie innerhalb dieses Systems ebenso schwierig bezweifelt werden kann wie die Schulpflicht: Es war einfacher, durch die Bildungsreform der BRD in den 1970er Jahren die Fächer- als die Lehrerwahl einzuführen. Dennoch liegt es auf der Hand, dass die Lehrerwahl sowohl auf Seiten der Schüler als auch der Lehrer einen großen Teil des täglich in dem System generierten Leidensdrucks reduzieren könnte: Täglich einem Lehrer ausgesetzt zu sein, bei dem man meint, nichts zu lernen, den man nicht leiden kann oder der einen nicht leiden kann, ist schlimm; ebenso schlimm ist es für den Lehrer, täglich einem Schüler begegnen zu müssen, den er nicht leiden kann oder der ihn nicht leiden kann. Dies zu bestreiten, würde bedeuten, Menschen und ihrem Handeln jede emotionale Dimension abzusprechen und Unterricht zu einem kontaktlosen Austausch von Wissen zwischen trivialen Maschinen zu erklären. Sobald Fächerwahl erlaubt ist, wählen Schüler ein bestimmtes Fach auch unter dem Gesichtspunkt, welchen Lehrer sie erwarten oder welchen sie auf jeden Fall vermeiden wollen. Da ihnen vorher meist unbekannt ist, wer welches Fach übernimmt, ist das ein Lotteriespiel und es kommt zu dramatischen Enttäuschungen.

Als Kontrast zu Luhmanns Behauptung, die staatlicherseits verordnete Schulorganisation spiele keine pädagogische Rolle, führe ich Siegfried Bernfeld an. Wie erreichen wir unser Ziel, dass die Kinder trotz eines Lebens »in Not und Sklaverei« das herrschende System lieben und ihm treu ergeben sind? Diese Frage lässt er in seiner Abhandlung »Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung« 1925 in ironischer Absicht seine Exzellenz, Unterrichtsminister Machiavell auf die folgende Weise beantworten: Man müsse »verstehen, dass die Organisation des Erziehungswesens das entscheidende Problem ist, das wir konsequent und unerbittlich unserem Einfluss restlos vorbehalten müssen, während wir die Lehrplan- und Unterrichts-, selbst Erziehungsfragen beruhigt den Pädagogen, Ideologen, ja selbst den Sozialdemokraten[46] überlassen können. Doch werde ich auch in dieser Zulassung taktisch vorgehen. Sie wird gefordert werden, wir lassen lange um sie kämpfen und gewähren sie in der Form von Konzessionen immer dann, wenn wir eine Ablenkung der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für nötig halten.«[47]

Schließlich will ich als wichtiges organisatorisches Element des heutigen Schulsystems noch den Lehrplan erwähnen, über den ebenso politisch entschieden wird (zumindest in Deutschland). Dass er laut Luhmann nicht prägend auf den Unterricht wirken soll, ist kaum nachzuvollziehen. Die Zusammenstellung dessen, was zu einem Themengebiet gehört und der Fortgang von Themengebiet zu Themengebiet ergibt sich nicht aus der Kompetenz des Lehrers und dem Interesse der Schüler, sondern aus den Vorgaben der Kultusbürokratie. Das mag für den Lehrer eine Entlastung zu sein: Er muss den Schülern gegenüber nun nicht begründen, warum er das eine macht und das andere lässt. Aber für das Lernen und Mündigwerden der Schüler wirkt das desaströs: Die Schüler erleben einen Lehrer, der seinerseits fremdgesteuert ist und sein Handeln zumindest in wichtigen Bereichen nicht legitimieren muss und im Zusammenhang des Kontakts mit ihnen nicht ändern kann. Wenn Luhmann schreibt, das Erziehungssystem bleibe »auf der operativen Ebene des Unterrichts […] autonom«,[48] so entspricht dies nicht den Tatsachen. Die Autonomie, die dem Lehrer bleibt, ist, dass er den Schülern gegenüber entweder so tun kann, als sei der Lehrplan inhaltlich gerechtfertigt, oder sich darauf zurückziehen, selber nur ein Opfer zu sein.

Auch die Behauptung, obwohl der Staat Schulpflicht einführen und aus Steuermitteln die Kosten der Schulen übernehmen könne, könne er »als Organisation nicht selber erziehen«,[49] ist in dieser Form unwahr. Indem er erwachsene Menschen, nämlich die Eltern der Schüler und deren Lehrer, seiner (strukturellen) Gewalt unterwirft, erzieht er die Schüler zu Unterwürfigen.

Reflexionsprobleme im Luhmannschen System

In »Reflexionsprobleme im Erziehungssystem« (1979) konstruiert Luhmann eine Geschichte der Schulentwicklung vom 18. Jahrhundert bis heute, die ihm für »Das Erziehungssystem der Gesellschaft« (1998) als Folie der Abstraktion dient. Die Geschichtskonstruktion legt das Faktische zugrunde, macht Autoren ausfindig, in deren Schriften er das Faktische entweder vorwegnehmend gefordert oder nachträglich gerechtfertigt sieht. Das Wirkliche ist das Vernünftige. Das Vernünftige ist das Wirkliche. Hegel. Alternativen gibt es nicht. In Widerstand gegen die jeweilige Entwicklung drückt sich Unvernunft aus, Rückständigkeit, Böswilligkeit oder Dysfunktionalität. Selten genug kommt »Widerstand« bei Luhmann vor – in »Das Erziehungssystem der Gesellschaft« anlässlich von pejorativen Wendungen wie »Widerstand« gegen den Schulbesuch rege sich »vor allem auf dem Lande«.[50] Natürlich, die bösen Bauern. Gründe haben sie nicht, man kann sie sowieso nicht ernst nehmen, auch wenn sie alles das produzieren, was so auf den Tisch kommt.[51] In einem anderen Zusammenhang räumt Luhmann zwar ein, Widerstand böte die Chance »Individualität zu entwickeln«;[52] dies scheint aber ein Ausrutscher zu sein; jedenfalls kommt er darauf nicht zurück. In den »Reflexionsproblemen« findet sich von Widerstand nirgendwo eine Spur.

Die von Luhmann aufgezeigten ideengeschichtlichen Linien sind dabei weitgehend beliebig. Luhmann konstruiert etwa eine Abfolge von den Jesuiten[53] über Jean-Jacques Rousseau bis Immanuel Kant.[54] Für den angelsächsischen Raum würden Puritanismus, John Locke und David Hume mehr besagen. Wilhelm von Humboldt kommt »natürlich« vor, aber es fällt völlig unter den Tisch, dass er als Ideal ein vom Staat radikal getrenntes Schulsystem im Kopf hatte.[55] Seine Wirkung ging in die entgegengesetzt Richtung, klar, aber die Gründe für sein Ideal könnte man erwähnen, und sei es am Rande.

Entscheidender noch als diese ideengeschichtlichen Ungereimtheiten ist die Folge des harmonistischen Ansatzes von Luhmann für die Analyse dessen, was real entstanden ist. Da Luhmann von Harmonie und Folgerichtigkeit der Entwicklung ausgeht, die sich zwingend im System, aber ohne Zwang von außen ergeben hat, kann er die Bedeutung von politischem Konflikt überhaupt nicht wahrnehmen. Das deutsche dreigliedrige Schulsystem mit Haupt-, Realschule und Gymnasium ist offensichtlich kein Ergebnis eines Plans, sondern eines nicht eindeutig entschiedenen Machtkampfes. Humboldt wollte keine Real- und keine Hauptschulen. Für ihn war das humanistische Gymnasium die einzig sinnvolle Schulform nach der für ihn uninteressanten Elementar- (Grund-) Schule. Die Realschulen erwuchsen aus der Berufsschul-Bewegung, für die im scharfen Gegensatz zu Humboldt die Vorbereitung auf den Beruf vordringlich war. Das lehnte Humboldt vehement ab; Bildung durfte ihm zufolge keinerlei anderem Nutzen als der reinen Menschenbildung dienen. Die Hauptschulen waren die Idee der Philanthropen, die sich um die Volksbildung sorgten. Das duale Ausbildungssystem in Deutschland (Lehrlingsausbildung im Betrieb mit begleitender Berufsschule) ist das Ergebnis eines nicht eindeutig entschiedenen Machtkampfes zwischen traditionellem Handwerk und den modernen, staats- und schulorientierten Pädagogen. Das heutige Nebeneinander von Gesamtschulen und der weiter bestehenden Dreigliedrigkeit ist das Ergebnis eines nicht eindeutig entschiedenen Machtkampfes zwischen Bildungsreformern der 1970er Jahre und den Konservativen. Nach wie vor prägt der politische Machtkampf die Schulentwicklung und den Schulalltag, ein Machtkampf, in welchem die Erziehungswissenschaft eine gewisse, allerdings gewiss untergeordnete Rolle spielt. Doch, natürlich, auch die Erziehungswissenschaft spricht nicht mit einer Zunge.

Konflikt und Widerstand gibt es bei Luhmann nicht und damit auch keine Alternativen oder Möglichkeiten, über die Zukunft zu entscheiden. Der Gedanke an Anarchie, schreibt Christian Sigrist, scheine bei Luhmann »eine Denkblockade auszulösen«.[56] Ich erinnere mich, dass ich, als die »Reflexionsprobleme« Luhmanns und Schurrs im Rahmen meiner Habilitation (»Legitimität und Praxis«, geschrieben 1982, veröffentlicht 1989) das erste Mal las, völlig entgeistert war über diese affirmative Konstruktion einer lückenlosen Notwendigkeit und Ideengeschichte der Staatsschule ohne den geringsten Anflug kritischer oder problematisierender Rückfragen.

[1] Christian Sigrist, Das gesellschaftliche Milieu der Luhmannschen Theorie, in: Das Argument 178/1989, S. 837.

[2] Ebd. Sigrist befasst sich mit Luhmanns zentralem Werk »Soziale Systeme« (1984) und stellt die Systemtheorie polemisch in den Zusammenhang des US-Imperialismus. Den (vulgär-) marxistischen Antikapitalismus, der mit seinen ethnologischen Erkenntnissen, wie er wusste, in einer gewissen Spannung steht, teile ich nicht; das spielt für die hier geführte Auseinandersetzung aber keine Rolle. Die Luhmann-Kritik, dass dessen Systemtheorie die Kategorie des Widerstands abgehe, nehme ich dagegen zum Ausgangspunkt.

[3] Niklas Luhmann, Das Erziehungssystem der Gesellschaft (im weiteren Verlauf: EG), Frankfurt/M. 2002, S. 123.

[4] Paul Goodman, Der gegenwärtige Stand der Erziehung (1969), in: ders., Einmischung, Bergisch Gladbach 2011.

[5] Vgl. ausführlicher: Stefan Blankertz, Widerstand: Aus den Akten Pinker versus Anarchy, Berlin 2016; Kurzfassung in meiner Einladung zur Freiheit, Berlin 2020, Kapitel »Hobbes im Praxistest«.

[6] Vgl. ausführlicher: Stefan Blankertz, Das libertäre Manifest: Zur Neubestimmung der Klassentheorie, Berlin 2015.

[7] Für aktuelle Analysen korporatistischer Strukturen vgl. Stefan Blankertz, Politik macht Ohnmacht: Demokratie zwischen Rechtspopulismus und Linkskonservativismus, Berlin 2017.

[8] Zu einer weitergehenden Beschäftigung mit der Macht in Luhmanns Systemtheorie wäre noch das ebenfalls posthum erschienene Manuskript »Macht im System« (2012) auszuwerten. Mir geht es in der vorliegenden Auseinandersetzung ausschließlich um »Das Erziehungssystem der Gesellschaft«.

[9] EG, S. 68.

[10] EG, S. 68f.

[11] EG, S. 76.

[12] EG, S. 69.

[13] EG, S. 114.

[14] EG, S. 130.

[15] EG, S. 70; S. 135ff.

[16] EG, S. 97ff.

[17] Vgl. Murray Rothbard, Conceived in Liberty, Band 5 (ca. 1980; posthum erschienen), Auburn, AL 2019, S. 241.

[18] Hinweis für deutsche, mit der politischen Geschichte der USA nicht vertraute Leser: Ab den 1930er Jahren bezeichnet der Begriff »liberals« in den USA Vertreter der zentralen Staatsgewalt, vergleichbar mit den europäischen Sozialdemokraten, und nicht mehr die Liberalen im aufklärerischen Sinne.

[19] Pierre Bourdieu, Über den Staat (Vorlesungen 1989 -1992), Berlin 2017, S. 123.

[20] EG, S. 157.

[21] Vgl. Murray Rothbard, Power and Market, 1970.

[22] Niklas Luhmann und Karl-Eberhard Schorr, Reflexionsprobleme im Erziehungssystem (im Folgenden: RP), Stuttgart 1979, S. 257.

[23] Abschluss- durch Aufnahmeprüfungen zu ersetzen, war einer der Reformvorschläge von Paul Goodman in »Compulsory Mis-education« (1964). Als Möglichkeit erwähnt Luhmann (EG, S. 66) es, diskutiert aber nicht, warum Abschlussprüfungen sich als Code der Berechtigung weitgehend durchgesetzt haben.

[24] Vgl. Stefan Blankertz, Pädagogik mit beschränkter Haftung: Kritische Schultheorie, Berlin 2015; ders., Mit Verziehungsauftrag: Werkbuch kritische Schulpolitik, Berlin 2020.

[25] EG, S. 131.

[26] RP, S. 250.

[27] EG, S. 39

[28] Paul Goodman, Das Verhängnis der Schule (Compulsory Mis-education, 1964), Frankfurt/M. 1975.

[29] EG, S. 125, S. 71. RP, S. 275.

[30] RP, S. 274f.

[31] EG, S. 123.

[32] EG, S. 72.

[33] Spätestens ab hier wäre es lächerlich, weiter von »Erziehungssystem« zu sprechen.

[34] Vgl. E.G. West, Education and the Industrial Revolution, 1975.

[35] Vgl. James Tooley, The Beautiful Tree, Washington, DC 2009.

[36] Man (d.h. die Staatsgewalt!) mag »sich auf die Attraktivität des öffentlichen Schulwesens allein nicht verlassen. […] Im Falle des Erziehungssystems genügt es nicht, die Möglichkeit des Schulbesuchs bereitzustellen. […] Deshalb wird die Inklusion wohl überall durch Verordnung einer Schulpflicht geregelt. […] Ein Abstellen auf Interessen [würde] nicht genügen.« EG, S. 136f.

[37] EG, S. 126-129. RP, S. 263-274. Vgl. »Eine voraussetzungsfreie Situation kann in einer immer geschichtlich gegebenen Gesellschaft […] weder vorgefunden noch hergestellt werden.« RP, S. 241.

[38] EG, S. 130.

[39] Der Hauptgrund dürfte allerdings die geringere Kontrollmöglichkeit der Staatsgewalt über Inhalte und Methoden des Unterrichts bei Hausunterricht sein; als der Hausunterricht nur bei der sowieso herrschenden Klasse gang und gäbe war, stellte mangelnde Kontrolle eine untergeordnete Bedrohung dar.

[40] Vgl. Marva Collins und Civia Tamarkin, Marva Collins’ Way, 1982.

[41] EG, S. 154.

[42] EG, S. 139.

[43] EG, S. 116.

[44] EG, S. 107, S. 121.

[45] EG, S. 108.

[46] Ja, das waren damals die Anarchisten, vor denen die Exzellenzen Europas vor Angst schlotterten.

[47] Siegfried Bernfeld, Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung (1925), Frankfurt/M. 1970, S. 98 -106.

[48] EG, S. 131.

[49] EG, S. 116.

[50] EG, S. 136f.

[51] Luhmanns Behauptung in »Die Wirtschaft der Gesellschaft« (1988), es habe in Europa seit 300 Jahren (also seit 1688) keine Hungersnöte mehr gegeben, nennt Sigrist eine »intellektuelle Katastrophe« (a.a.O., S. 845). Zur Erinnerung einige der entsetzlichen Daten: 1693-94, Frankreich (bis zu 2 Mio. Tote geschätzt); 1770-72 und 1816-17 in weiten Teilen Europas; 1844 große Hungersnot in Irland (bis zu 1 Mio. Tote geschätzt); 1866-1869, Finnland und Schweden; 1916-17, Deutsches Reich; 1921-24, Russland (bis zu 5 Mio. Tote geschätzt); 1932-33, Holodomor in der Ukraine (bis zu 7 Mio. und mehr Tote geschätzt). Als Marxist wusste Sigrist, dass Hungersnöte nicht dem Kapitalismus, sondern dessen Behinderung durch den Staat im Interesse privilegierter Klassen anzulasten sind.

[52] EG, S. 49.

[53] Von den Reformatoren ist dagegen erstaunlicherweise nichts zu lesen. Auch der Pietismus und sein Einfluss auf die Schulentwicklung in Preußen hat in Luhmanns Erzählung keinen Platz.

[54] EG, S. 86ff.

[55] »Die Allgemeinheit des Bildungsgedankens ist, für Humboldt zumindest, zugleich eine Garantie der Inklusion aller in das staatlich geförderte Schulsystem« (EG, S.189). Dies ist definitiv eine grobe Verschiebung der Auffassung Humboldts in Richtung auf den von ihm abgelehnten Etatismus.

[56] Christian Sigrist, a.a.O., S. 849.