Die Zukunft einer Illusion

11 Thesen zu Corona-Pandemie und Wissenschaftsgläubigkeit

von Stefan Blankertz

1. Gegenüber Auffassungen, die von der herrschenden Erzählung abweichen, so auch bezogen auf die Corona-Pandemie, gibt es vier Strategien der medialen Immunisierung: Eine abweichende Auffassung sei

1.1 „Fake News“ oder „Verschwörungstheorie“,

1.2 „politisch unkorrekt“ (derzeit identisch mit „rechts“; es kann aber auch wieder eine Zeit kommen, da „links“ zum Stigmatisierungspartikel dient),

1.3.1 „unwissenschaftlich“,

1.3.2 oder, wenn die abweichende Auffassung von einem Wissenschaftler geäußert wird: eine Einzel- oder Minderheitenmeinung,

1.4 geeignet, Menschenleben zu gefährden.

2. Die positive Rechtfertigung politischer Maßnahmen der Staatsgewalt nimmt heute die Form an, sie seien

2.1 von „der“ Wissenschaft abgesichert und von „den“ Experten empfohlen,

2.2 „alternativlos“ (um Menschenleben zu retten),

2.3 „unumgänglich“, da irgendwie ja schließlich entschieden werden müsse.

3. Zwei Beispiele dafür, wie Strategien der Immunisierung und Rechtfertigung während der Corona-Pandemie eingesetzt worden sind:

3.1 Ganz im Anfang, als das Übergreifen der Infektionswelle von China aus sich in Italien abzeichnete, nutzte die AfD die Gelegenheit, ihre Agenda der Grenzschließung zu verfolgen, nun nicht mehr nur mit der Notwendigkeit der Abwehr von Zuwanderung begründet, sondern auch mit dem Seuchenschutz. Die bundesdeutsche Regierung bzw. die sie konstituierenden Parteien lehnten die Forderung nach Grenzschließung ab mit dem Hinweis, sie sei nicht nötig (andere Maßnahmen würden zum Seuchenschutz hinreichen) und auch gar nicht „machbar“. Kurze Zeit später war die Grenzschließung sowohl machbar als auch notwendig und nun sah sich jeder, der Einwände erhob, als „rechter Verschwörungstheoretiker“ abgestempelt.

3.2 Obgleich in asiatischen Ländern nicht erst seit der Corona-Pandemie gute Erfahrungen mit dem (freiwilligen) Tragen von Gesichtsschutz gemacht wurden, schloss sich die bundesdeutsche Regierung der „wissenschaftlichen“ Auffassung der WHO an, der Gesichtsschutz sei bestenfalls wirkungslos und schlimmstenfalls schädlich. Mit zunehmenden Indizien, dass der Gesichtsschutz zu den geeigneten Möglichkeiten zählt, sich selber und andere vor einer Infektion zu bewahren, wurde er dann nicht nur offiziell propagiert, sondern schließlich auch zwangsweise verordnet. Umgehend sahen sich jetzt diejenigen, die Einwände formulierten, in die Schmuddelecke gestellt.

4. Die beiden impliziten Voraussetzungen für die Orientierung politischer Zwangsmaßnahmen an wissenschaftlichen Positionen und an Expertenmeinungen lauten:

4.1 Wissenschaft werde qua Mehrheit ihrer Vertreter unfehlbar. Wissenschaftliche Objektivität drückt sich jedoch nicht in einer weitgehenden Einstimmigkeit aus, sondern in der Offenheit der Diskussion konträrer Auffassungen und der fortlaufenden Möglichkeit der Korrektur von Auffassungen. Jede Form der Dogmatisierung führt unweigerlich zum Verlust des Anspruchs der Wissenschaft auf Objektivität. Objektivität oder Dogmatik der Wissenschaft ergibt sich nicht aus ihr selber (etwa aus ihren Methoden oder aus ihrem Ethos), sondern aus dem materialen Rahmen ihrer Verwirklichung.

4.2 Die staatlich verfasste Wissenschaft agiere ohne (ökonomisches) Interesse. Diese Voraussetzung ist Ideologie: Die Finanzierung der Wissenschaft durch den Staat macht sie zwar idealtypisch unabhängig von privatwirtschaftlichen Interessen, bindet sie aber an die (ökonomischen) Interessen des Staats. Zudem besteht ein (ökonomisches) Interesse der Wissenschaft z.B. an der Aufrechterhaltung und womöglich an der Ausweitung der Verfügung über Ressourcen. Die Vorstellung, staatliche Finanzierung und Verfasstheit enthebe von ökonomischen Zwängen und Interessen, entbehrt der soziologischen Grundlage.

5. Genauso wie die wissenschaftliche Objektivität aus der offenen Diskussion kontroverser Standpunkte resultiert, liegt die Güte von Lebensentscheidungen darin, dass sie nicht von der (Staats-) Gewalt diktiert werden, sondern korrigierbar bleiben, wenn sie dem (fehlbaren) Urteil der Akteure nach sich als schlecht oder nachteilig erweisen.

6. Es geht nicht bloß oder hauptsächlich um den Gegensatz zwischen individuellen und kollektiven („öffentlichen“) Entscheidungen, sondern um den Gegensatz von diktierten (gewaltsamen) und freien Entscheidungen. Kollektive Entscheidungen bleiben frei, sofern die Mitgliedschaft im Kollektiv freiwillig ist. Gewalt ist falsch, auch wenn sie vom Volk ausgeht.

7. Die freien Entscheidungen von nicht-zentralisierten, nicht-herrschaftlichen sozialen Akteuren – seien es Individuen, seien es Organisationen, deren Mitgliedschaft freiwillig ist (Vereine, Firmen etc.) – bergen die Gefahr der Fehlentscheidungen, haben aber den Vorteil der Korrigierbarkeit. Sie kommen ohne eine Anmaßung von Wissen aus. Die Wirkung der Fehlentscheidungen bleibt begrenzt und zwar begrenzt auf die Personen, die sie getroffen haben.

8. Die Überlegenheit der dezentralen, gewaltfreien Entscheidungsform hat sich eindeutig gezeigt im Gegensatz von Plan- zu Marktwirtschaft. Keiner der planwirtschaftlichen Ansätze hat das Versprechen einzulösen vermocht, die kapitalistische „Verschwendung“ (durch die Fehlentscheidungen dezentraler, keiner zentralen Weisungsgewalt unterstehender Akteure) zu beenden und damit effizienter zu sein.

9. Das illusionäre Versprechen der Idee der Planwirtschaft liegt in der Effizienz. Das ist in der Corona-Pandemie nicht anders: Das Versprechen, das mit den staatlichen Zwangsmaßnahmen verbunden ist, lautet, effizient im Schutz der Gesundheit (und des – staatlichen bzw. staatsnah organisierten – Gesundheitswesens) zu sein.

10. Was wir brauchen, auch und gerade in einer Krise, ist mehr (nicht weniger) Freiheit: Stärkung der Eigenverantwortung, Ermutigung zu kontroverser Diskussion, Flexibilität im Risikomanagement. Im herrschenden Vorgehen zeigt sich hingegen die Anmaßung des Wissens, dass eine Plan- und Beherrschbarkeit der Lebensrisiken durch Diktate der Staatsgewalt erreichbar sei. Das ist eine Illusion.

11. Die Reaktionsformen auf die Corona-Pandemie haben das Agieren des Staats nicht verändert, sondern seinen wahren Charakter offenbart: Das Wesen des Staats ist Gewalt.