Die folgende Analyse ist eine Skizze. Die an sich inhaltsleeren Begriffe »rechts« und »links« verwende ich in der den jeweilig herrschenden Diskursen entnommenen, zum Teil wechselnden und zum Teil widersprüchlichen Bedeutungen. Bei einer Ausarbeitung der Skizze müssten sie genauer gefasst, ebenso die der Analyse zugrundeliegenden historischen Fakten benannt und beschrieben werden.
»Was macht die herrschende Klasse, wenn eine libertäre Revolution droht [um sie abzuwenden]? Sie übergibt die Macht einer ›libertären‹ Partei.« Samuel Edward Konkin III (SEK3) (1947-2004), 1985, Gründer des legendären »Movement of the Libertarian Left«.
- Die »alten« us-amerikanischen Rechten (alternativ auch »old conservatives«) waren nicht rechts im europäischen, nationalistischen oder faschistischen Sinne, sondern konsequent liberal bis anarchistisch (z.B. Albert Jay Nock, 1870-1945). Eins der besonderen Kennzeichen war ihr Anti-Militarismus, Anti-Imperialismus und die Forderung nach einer strikt non-interventionistischen Außenpolitik der USA (pejorativ »Isolationismus« genannt; ein wenig geeigneter Begriff, denn es ging um die militärische Non-Intervention bei gleichzeitigem Freihandel).
- »Betrayal of the American Right«, 1950er Jahre: In dem (mehr oder weniger erfolglosen) Versuch, politische Macht zu erlangen, wenden die Rechten sich zum Etatismus. Den letzten Schritt geht Barry Goldwater (1909-1998) im Präsidentschaftswahlkampf 1964 (gegen Lyndon B. Johnson, 1908-1973). Er macht seinen Frieden mit den Militärs. Dass er erklärt, militärische Fragen, besonders im eskalierenden Vietnamkonflikt, den Militärs zu überlassen, wurde und wird ihm oft als besonders militaristisch ausgelegt. Es zeigt jedoch eher seine Hilflosigkeit angesichts einer gewissen inneren Distanz, zugleich seine Angst, dem Kriegskurs seines demokratischen Gegenkandidaten offen entgegenzutreten. Bezeichnenderweise war eine treibende Kraft in der etatistischen Wende der Alten Rechten James Burnham (1905-1987), ein ehemaliger Trotzkist.
- In dieser Situation bildet sich, promotet von Murray Rothbard (1926-1995), in den USA ein Bündnis aus anti-autoritären Rechten und anti-autoritären Neuen Linken mit dem gemeinsamen Ziel, den Interventionismus der Regierung zu stoppen. Die Neue Linke steht dem Staat gegenüber in genau der gleichen Distanz wie die Alte Rechte, wenn auch mit einer anderen Rhetorik (z.B. Paul Goodman, 1911-1972). Ronald Radosh, damals ein führender Exponent der Neuen Linken (heute Neocon), entdeckt 1975 die »Prophets on the Right« gegen den us-amerikanischen »Globalismus«.
- Verrat der Linken: Im Zuge des (mehr oder weniger erfolgreichen) »Marsches durch die Institutionen« verlagern sich die Aktivitäten der Linken weg vom Protest gegen den Staat und dem Versuch, alternative Strukturen aufzubauen, hin zur Teilhabe an den staatlich monopolisierten Ressourcen. Dabei geht auch der Anti-Militarismus zunehmend verloren. Sprung nach Deutschland: Die »Grünen«, die das anti-autoritäre und anti-militaristische Protestpotenzial parteipolitisch gebunden und diszipliniert haben, sind nach ihrer Regierungsbeteiligung 1998 der Hebel, mit dem der deutsche Militarismus den Konsens der Nachkriegszeit bricht, dass die Bundeswehr niemals zu einem anderen Zweck als der Landesverteidigung eingesetzt werden dürfe. Seitdem stimmen sie Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht nur zu, sondern fordern sie in manchen Fällen auch offen.
- Murray Rothbard hält an dem Ziel der möglichst kurzfristig zu erreichenden Überwindung des US-Imperialismus als Vorbedingung für jegliche weitere Veränderungen fest. Da die Linke als Bündnispartner seiner Analyse nach nun ausfällt, geht er in den 1990er Jahren eine m.E. nach problematische Koalition mit gewissen Kräften der etatistischen Neuen Rechten ein, sofern sie den Non-Interventionismus auf ihre Agenda setzen.
- Der Habermas-Schüler Hans-Hermann Hoppe, der in der Spätphase von Murray Rothbard mit diesem zusammenarbeitete, verwandelt die strategische Koalition mit den Rechten (bzw. Konservativen) in eine inhaltliche. Neue Schlagworte sind etwa »paläo-libertär« oder »paläo-konservativ«.
- In Deutschland sehen die Konservativen und Liberalen, die sich jahrzehntelang als die staatstagenden Kräfte verstanden haben, in den späten 1990er Jahre und endgültig mit der Linkswendung der CDU unter Angela Merkel mit dem Machtverlust konfrontiert, der sie dazu bringt, (vorübergehend) mit der libertären Demokratiekritik zu flirten.
- Oliver Janich ersetzt Soziologie durch Verschwörungstheorie und nimmt in der Frage der Aufnahme von Flüchtlingen eine extrem etatistische Position ein. Mit beiden Positionen, der Verschwörungstheorie und der gegen Migration gerichteten Haltung, zieht er Kräfte an, denen es nicht um Freiheit geht, sondern darum, ihrer rechten Agenda eine Rationalisierung zu verpassen.
- Der aktuelle Rechtspopulismus stellt unter der rechten, bisher außerparlamentarischen Opposition den Glauben an die Demokratie wieder her, weil die Wahlerfolge ihn Macht lecken lässt. Die etablierten Linken werden demgegenüber zu Konservativen, die vor zu viel Demokratie als »Pöbelherrschaft« warnen.
Grundlagen
Murray Rothbard, Left and Right, 1964.
Paul Goodman, The Black Flag of Anarchism, 1968; dt. Die schwarze Fahne des Anarchismus, in: ders., Einmischung: Ein Reader, hg. von Stefan Blankertz, Bergisch Gladbach 2011.
Karl Hess, The Death of Politics, 1969.
Murray Rothbard, For A New Liberty: The Libertarian Manifesto, 1973/78; dt. Für eine neue Freiheit: Kritik der politischen Gewalt, hg. von Stefan Blankertz, Berlin 2015, in zwei Bänden (Band 1: Staat und Krieg, edition g. 102; Band 2: Soziale Funktionen, edition g. 103).
Murray Rothbard, The Betrayal of the American Right, 1971-1991, posthum veröffentlich; dt. Der Verrat an der amerikanischen Rechten, Grevenbroich 2017.
Ronald Radosh, Prophets on the Right: Profiles of Conservative Critics of American Globalism, 1975.
Samuel Edward Konkin III, The New Libertarian Manifesto, 1980; dt. Das Manifest der neuen Libertären (zusammen mit: Die Geschichte der Bewegung in den USA bis ca. Ende 1990er Jahre), Vorwort von Stefan Blankertz, Grevenbroich 2017.
Stefan Blankertz, Anarchokapitalismus: Gegen Gewalt, Berlin 2015 (edition g. 109), Kapitel »Bewegung: Rinks und Lechts. Krieg ist keine Option«.
Stefan Blankertz, Die neue APO: Gefahren der Selbstintegration, Berlin 2016 (edition g. 123).