Wir schaffen das: Unterwerfung, zweiter Teil

von Stefan Blankertz

 

 

 

  1. Eine Dystopie

Der Titel – „Wir schaffen das!“ – ist bekanntlich ein geflügeltes Wort, das die Bundeskanzlerin auf dem Höhepunkt dessen gesprochen hat, was dann als „Flüchtlingskrise“ bezeichnet wurde. Gemeint war, dass „wir“, sprich: Deutschland, die Probleme im Zusammenhang mit der Masseneinwanderung meistern werden. Popularität erhielt die Formulierung jedoch dadurch, dass sie seitdem immer wiederholt wird, wenn ein Attentat oder ein anderes Vorkommnis sich ereignet, das eher dafür spricht, dass „wir“ es gerade nicht schaffen. Der Untertitel bezieht sich auf den Roman von Michel Houellebecq, in welchem er beschreibt, wie in Frankreich zur Abwehr einer drohenden Machtübernahme durch den „Front National“ die Sozialisten einem Vertreter der Muslimbruderschaft ins Amt verhelfen. Aber Houellebecq hat nur die halbe Story erzählt. Es fehlt die Vision, was unter einer Präsidentin Marine LePen geschehen wäre. Ich präsentiere in einer Fiktion nun diese andere Seite, garantiert nicht in Romanlänge, und der Einfachheit halber spielt die Episode in Deutschland und nicht in Frankreich.

Unmittelbar nach der Bundestagswahl findet ein verheerender islamistischer Anschlag mit vielen Toten statt. Ausgeübt wurde er durch eine Gruppe Migranten, die sich illegal in Deutschland aufhielten. Aber nicht nur das. Es stellt sich heraus, dass die islamistische Gruppe ihre Waffen erbeutete, indem sie zuvor Besitzer von legal registrierten Waffen überfallen hatten. Völlig konsequent ist die ersten Maßnahme, um den Terrorismus zu bekämpfen, die die neue Regierung ergreift, das sofortige und ausnahmslose Verbot jeglichen privaten Waffenbesitzes. Denn es leuchtet ja nun jedem Kind ein, dass das Attentat nicht hätte stattfinden können, wenn die bestohlenen Personen keine Waffen zu Hause gehabt hätten. Die Toten des Attentats sind „ihre Toten“ oder „die Toten des liberalen deutschen Waffenrechts“, wie es unisono heißt. Dem Gesetz zum totalen Waffenverbot stimmen fast alle Abgeordneten zu; Gegenstimmen gibt es selbstredend keine, bloß ein paar verschämte Enthaltungen. Die Namen derer, die sich enthalten haben, werden ruchbar. Sie gehören der oppositionellen FDP und der in der Regierungskoalition beteiligten „Linken“ an. In der Presse und in den sozialen Medien überhäuft man die „Volksverräter“, „Islamapologeten“ „Terroristenhelfer“ und „Mörder“ mit Diffamierungen; in der Öffentlichkeit werden sie angespuckt; sie erhalten Morddrohungen. „Wir schaffen das“, zitiert die neue Bundeskanzlerin ihre Vorgängerin verschmitzt lächelnd, „obwohl uns einige wie diese Abweichler Steine in den Weg legen. Den Terrorismus werden wir besiegen und mit Stumpf und Stiel ausrotten.“ Als illegaler Migrant gilt ab sofort jeder, der nach dem 1. 1. 2015 deutschen Boden betreten hat.

Das ist natürlich erst der Beginn. Jeder sieht ein, dass es absolut notwendig zur Bekämpfung des Terrorismus ist, den Sumpf der „Illegalen“ trocken zu legen. Die Verschärfung der Meldepflicht und die Kontrolle der Personalien bei jedem Betreten eines Einkaufszentrums sind da Ehrensache, gegen die niemand einen Widerspruch geltend macht. Da die Attentäter ihre Aktion per Kommunikation mit anonymen Prepaid-SIM-Karten koordinierten, ist es das mindeste, diese Möglichkeit der anonymen Kommunikation zu verbieten.

Allerdings gibt es „da draußen in unserem schönen Deutschland“, also „mitten unter uns“ einige gierige Kapitalisten, die die Illegalen ausbeuten, sie schwarz arbeiten lassen, und zwar, Gipfel ihres verbrecherischen Wirkens, zu Entgelten unterhalb des Mindestlohns. Eine landesweite Polizeiaktion gegen die Ausbeuter setzt diesem Treiben ein Ende. Andere unpatriotische Elemente unterstützen, wie der Staatsschutz ermittelt, Illegale durch Spenden. Was liegt da näher, als umgehend den Gebrauch von Bargeld zu verbieten, das einer derartigen Form der Finanzierung des islamistischen Terrors Vorschub leistet? Sachspenden und Essenseinladungen sind nur noch im engen Familienkreis erlaubt. Niemand kann sich der Einsicht in die Weisheit dieser Maßnahme entziehen.

Ihrer Möglichkeit beraubt, sich zu ernähren, suchen viele der Illegalen, die der Polizei noch nicht ins Netz gegangen sind, in Kirchen Zuflucht, um ihrer Abschiebung zu entgehen. Ohne das Kirchenasyl abzuschaffen, wird es demnach nicht möglich sein, es zu erreichen, den Terrorismus zu besiegen. Rund um die Uhr patrouillieren seitdem Polizisten in Kirchen und auf kircheneigenen Grundstücken. Zunächst regt sich auch gegen diese Maßnahme kein Widerstand. Als jedoch Berichte durchsickern, dass Abgeschobene in ihren Heimatländern hingerichtet wurden, droht die Stimmung zu kippen. Kirchenvertreter verurteilen die permanente Anwesenheit von Polizisten ihn ihren Räumen. Ihnen schließt sich der Papst an. Daraufhin erhält er eine harsche Note der Bundesregierung, er möge sich nicht einmischen; außerdem fragt sie süffisant, wievielen Moslems er wohl im Kirchenstaat Asyl gewährt habe? Man würde alle in Deutschland lebenden Moslems ihm gerne überstellen. Die Süffisanz nutzt nichts. Piloten weigern sich, Flugzeuge mit abzuschiebenden Personen unter den Passagieren zu starten.

In ihrer Not trommelt die Bundesregierung die Vertreter von Presse und sozialen Medien zusammen, um sie zu bitten, die Verbreitung „postfaktischer Nachrichten“ zu unterlassen; sich auf solche „Fake News“ beziehende „Hate Speech“ sei in allen Kommentaren und Posts zeitnah zu löschen.

An der Vertrauenskrise, die den Nachrichten über die Hinrichtung aus Deutschland abgeschobener Flüchtlinge in ihrer Heimat folgte, sieht die Bundesregierung, dass sie über die Sofortmaßnahmen hinaus sich auch den Fundamenten widmen muss. So wird ein verpflichtendes Fach „Staatsbürgerkunde“ eingerichtet; dieses Fach unterliegt nicht dem bildungspolitischen Föderalismus, sondern die Lehrpläne und die Überwachung der Umsetzung geht direkt vom Familienministerium des Bundes aus. Alle Schulen, auch private, müssen dieses Fach in der vorgeschriebenen Weise und im vorgeschriebenen Umfang unterrichten.  Zudem stärkt die Bunderegierung energisch den Kampf gegen das Schwänzen. Bis zum Alter von 12 Jahren werden bei Verstoß gegen die Schulpflicht die Eltern, im Alter über 12 Jahren die Jugendlichen selber mit empfindlichen Strafen belegt. Darüber hinaus ist Deutsch auch als Umgangssprache vorgeschrieben, auf dem Pausenhof ebenso wie zu Hause am Mittagstisch. Das Denunziantentum blüht auf.

Als Berater der Regierung für den Bereich „Kampf gegen den Islamismus“ fungierte übrigens anfangs auch ein bekannter ägyptischer Islamkritiker. Als „durchsickert“, dass er nicht nur Araber ist, sondern auch als Moslem geboren wurde, muss er abdanken und wird deportiert. In seinem Heimatland exekutiert man ihn postwendend. Darüber aber berichten die deutschen Medien nicht, um keine Unruhe in die Bevölkerung zu bringen.

Der Versuch der Bundesregierung, die nach ihrer Definition illegalen Migranten in die sicheren Nachbarländer, über die sie nach Deutschland gelangt sind, abzuschieben, wird nach kurzer Zeit von diesen blockiert, indem sie ihrerseits die Grenzen nach Deutschland hin schließen. An den Grenzen entstehen Lager. Unter den Bewohnern der Lager kursieren Drogen und, allen Verboten zum Trotz, Waffen; eine polizeilich geduldete islamistische Mafia beherrscht die Lager; von den Lagern strahlt Kriminalität in die Umgebung aus. Da die Lagerbewohner aller Hoffnungen beraubt sind, gelingt es durch keinerlei Strafverschärfung, sie in irgendeiner Weise zu disziplinieren.

Alle von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen zusammengenommen führen zu schweren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen. Immer mehr Menschen, besonders diejenigen, die es sich leisten können, vor allem die gut ausgebildeten, verlassen Deutschland. Diese Undankbaren nehmen, wie es aus Regierungskreisen verlautet, ihre ihnen von „unserem Deutschland“ geschenkte Ausbildung mit. Schließlich muss gegen solch einen Exodus, gegen solch ein „Ausbluten des deutschen Volks“ eine Mauer gebaut werden. So entsteht der weltberühmte „anti-islamistische Schutzwall“.

An dieser Stelle höre ich auf, denn natürlich hat niemand die Absicht, eine Mauer zu bauen und überhaupt, es gibt ja wohl keinen Staat auf der Welt, der eine Mauer baut, um die eigenen Leute daran zu hindern, „Republikflucht“ zu begehen, schon gar nicht einer, der einst hier auf der Insel Usedom geherrscht hat. Doch eins gilt es noch nachzutragen zu der skizzierten Geschichte. In der ganzen Anstrengung um Grenzschließung, Remigration illegaler Ausländer, Durchsetzung der Verbote von Waffen und von Bargeld und so weiter ist es versäumt worden, die Attentäter dingfest zu machen, die den Politikwechsel in Deutschland schließlich auslösten. Sie entkamen in ihre Heimatländer, wo die Gesinnungsgenossen sie als Helden feiern. Die Bundesregierung sendet einen diplomatischen Protest, geharnischt, aber ohne jede Bedeutung.

 

  1. Die Erklärung

In den gegenwärtigen Debatten um die Migrationspolitik werden von denen, die für geschlossene Staatsgrenzen eintreten, eine Vielzahl von unterschiedlichen Argumenten genannt; es gibt jedoch ein gemeinsames Muster, das sich in fast allen Argumenten wiederfindet. Und dieses gemeinsame Muster in den Argumenten für geschlossene Staatsgrenzen ist der Verweis auf die Folgen ungehinderter Migration unter den gegebenen sozio-ökonomischen Bedingungen. Diese gegebenen Bedingungen werden als, realistisch betrachtet, unveränderlich problamiert bis eben auf den einen Punkt, nämlich dass es sehr wohl durchsetzbar sei, die Staatsgrenzen zu schließen. Der Gegner von geschlossenen Staatsgrenzen gerät durch diese Argumentation mit den angeblichen Folgen von Migration in die missliche Lage, sich ständig verteidigen zu müssen mit Floskeln wie „das will ich ja auch nicht“, „nein, so habe ich mir das aber nicht vorgestellt“ oder ähnlichen Formulierungen.

Mit meiner kurzen Geschichte einer Grenzschließung und anderen drastischen staatlichen Maßnahmen, die angeblich geeignet seien, den Terrorismus zu bekämpfen, drehe ich den Spieß um. Sicherlich haben sich während des Zuhörens die anwesenden Protagonisten geschlossener Staatsgrenzen ständig gedacht, „das will ich ja auch nicht“, „nein, so habe ich mir das aber nicht vorgestellt“ oder ähnliche Formulierungen. Aber es kommt, realistisch betrachtet, gar nicht darauf an, was der eine oder andere, der es gut meint, will oder sich vorstellt. Mit Absicht ist in meiner Geschichte anders als in Houellebecqs Roman mit keinem Wort erwähnt, welche Parteien alle an der Koalition der Regierung beteiligt sind. Ich halte jede im Bundestag vertretende und in den Bundestag strebende Partei für fähig, ein solches Programm zu realisieren. Jede einzelne Maßnahme in meiner Geschichte wurde bereits in Staaten realisiert oder zumindest von wichtigen politischen Kräften vorgeschlagen. Sie ist in keiner Hinsicht phantastisch oder an den Haaren herbeigezogen.

Die staatliche Repression entwickelt sich in einer Logik, die von den gut gemeinten Intentionen derer, die bei der Lösung sozialer Probleme auf den Staat hoffen, gänzlich losgelöst ist, ebenso von Wahlprogrammen oder den Bekenntnissen der jeweiligen politischen Lager. Jedes Problem, das der Staat lösen soll, dient ihm zur Verschärfung der Repression. Dies kann gar nicht anders sein, denn das Wesen des Staats ist die Gewaltausübung.

Der Zirkel der Repressionssteigerung läuft folgendermaßen ab: Man diagnostiziert ein gesellschaftliches Problem. Schnell wird klar, dass es ein Problem ist, das der Staat selber geschaffen hat oder jedenfalls bisher mit politischen Mitteln nicht hat lösen können. Diejenigen, die von dem infrage stehenden Problem betroffen sind, und alle, die sich über das Problem empören oder, wie man heute sagt, aufgrund des Problems „besorgt sind“, üben nun in kritischer Distanz zu den gegenwärtigen Vertretern des Staats Druck aus. Bei diesem Druck bedienen sie sich klarerweise politischer Mittel; was sollen sie sonst tun? Mit zunehmendem Erfolg beeinflussen sie eine bestehende Partei oder gründen eine neue Partei. Sobald die Partei an der Ausübung der politischen Macht in einer Koalition beteiligt ist oder gar die politische Macht allein inne hat, verwandelt sich die vormalige Distanz zum Staat, den man ja jetzt dazu benutzen kann, um die eigenen, selbstredend richtigen Vorstellungen gegen Widerstand durchzusetzen. Die Durchsetzung des Programms der früheren Opposition und jetzigen Machthaber gestaltet sich nahezu immer so, dass zu allen bestehenden Repressionen, die die Staatsgewalt eh schon ausführt, neue hinzutreten, und das ganz unabhängig davon, ob das Programm der Opposition die Aufhebung bestimmter alter Repressionen enthalten hat oder nicht.

Der Mechanismus dahinter: Die Aufhebung irgendeiner bestehenden Repression, die die Vorgänger an der politischen Macht durchgesetzt haben, würde deren Pfründe auf eine Weise schmälern, dass schärfster Widerstand zu erwarten ist. Es ist auf jeden Fall der leichtere Weg für die neuen Machthaber, die Pfründe ihrer Vorgänger so wenig wie möglich anzutasten. Meist erfordert das bestehende Gleichgewicht der Macht ohnehin eine solche Rücksichtnahme auf die Pfründe der Gegner. Es gibt nur wenige Beispiele echten Staatsabbaus durch politisches Handeln, und sie fanden in Situationen statt, in denen es für die Aufrechterhaltung der bestehenden staatlichen Struktur unbedingt notwendig war, einen Abbau des Staats herbeizuführen.

Angetrieben wird der Zirkel der politischen Repressionssteigerung durch das, was der „Zeitgeisterjäger“ Matthias Heitmann „Alarmismus“ nennt. Natürlich ist das Grundmuster für den Alarmismus in der politischen Instrumentalisierung des Klimawandels zu sehen: Die Welt stehe am Abgrund und wer jetzt nicht sofort und kopflos sich auf die richtige Seite stelle, der beschleunige den Untergang. Doch die Contrarians aller Schattierungen benutzen genau das gleiche Muster, bloß eben bezogen auf einen anderen Inhalt: Die Sozialsysteme oder sogar der Bestand des eigenen Volks stehe aufgrund der Masseneinwanderung auf dem Spiel und jeder müsse jetzt Farbe bekennen; alle anderen seien Volksverräter. „Wenn die Bude brennt, ist jeder willkommen, der beim Löschen hilft“, hießt es in einem Kommentar zu einer meiner ef-Kolumnen. Nun wird bei klarem Kopf wohl keiner an der Auffassung festhalten, dass kopfloses, von Angst getriebenes Verhalten ohne Sinn und Verstand dazu geeignet ist, die besten Lösungen hervorzubringen, ja überhaupt Lösungen umzusetzen; wahrscheinlich ist eher, dass die Probleme auf die eine oder andere Weise verschärft werden. Insofern verursacht der Alarmismus genau das, vor dem er Angst schürt. Denn was ist, wenn einer, der vorgibt, beim Löschen zu helfen, Öl statt Wasser benutzt?

Das, was ich dazu beitragen kann, diesem verhängnisvollen Zirkel der Repressionssteigerung unter der Regie des Alarmismus Einhalt zu gebieten, werde ich tun. Ich fordere niemanden auf, der Linie einer Bewegung oder gar Partei zu folgen, sondern im Gegenteil: sich nicht von Gruppendruck, Solidaritätszwang und anderem kollektivistischen Ungemach einschüchtern zu lassen, durchzuatmen und selbst zu denken und zu urteilen. Wahre Opposition muss den Zirkel der Repressionssteigerung, der im politischen Handeln eingeschrieben ist, durchbrechen.

 

Vortrag, gehalten auf der Konferenz „Massenmigration und Parallelgesellschaften“ von „eigentümlich frei“, Usedom, 27. bis 29. Januar 2017.